Politische Polizei

Berlin, den 30. Oktober 1886

Die politischen Zustände in Magdeburg

Landesarchiv Berlin (LAB), A Pr. Br. Rep. 030 Nr.: 11662, Die politischen Zustände in Magdeburg (1883-1888), Bl. 178-181

Die Verhältnisse der Magdeburger sozialdemokratischen Parteiorganisationen entwickeln sich langsam, aber stetig.

Die seit 1,5 Jahren bestehende Spaltung dauert allerdings noch fort, doch ist man auf dem Wege in einigen Wochen eine Art von Vereinigung zu erzielen, es wird sich als dann eine Organisation des Wahlkreises Magdeburg ergeben, die weiter unten skizzirt werden soll.

Wie schon früher berichtet, war von der Parteileitung beschlossen worden, die Organisation II als nicht zur offiziellen Partei gehörig anzusehen. Es war derselben daher der weitere Bezug des Parteiorgans und der übrigen Züricher Schriften entzogen worden. Während der Monate Juni und Juli mußten so auch die Mitglieder der Organisation II auf die genannte Lektüre verzichten. Die feindliche Organisation I frohlockte natürlich und gab sich der Hoffnung hin, in kürzester Zeit die II. Organisation einschlafen zu sehen. Die letztere war jedoch durch aus nicht unthätig, sie wandte sich mit verschiedenen Schriftstücken an die Parteileitung, an Bebel und nach Zürich, wo sie entschieden Protest gegen den Ausschluß erhob.

Der hauptsächlichste Vorwurf, welcher den Mitgliedern dieser Organisation gemacht wurde, war ihre angebliche Sympathie mit dem Anarchismus, welche sich besonders in ihrem Verkehr mit Schneidt offenbare. Hiergegen verwahrten sich dieselben in einer längeren Erklärung, von welcher ein Theil in Nr.33 des Sozialdemokrat gedruckt worden ist. Es ist daselbst ausdrücklich hinzugefügt, daß diese Erklärung von 52 Parteigenossen eigenhändig unterzeichnet gewesen sei. Sodann wurden seitens der II. Organisation als Beisteuer zum Diätenfonds 30 Mark und für die Verurtheilten zu Freiberg 50 Mark an Bebel eingesandt, so daß der vorhergegangene Parteiausschluß wieder völlig aufgehoben ist und die augenblicklich 47 Mann starke Abonenntenzahl des „Sozialdemokrat“ ungestört ihr Blatt weiter erhält.

Um die Möglichkeit einer Vereinigung mit der Organisation I herbeizuführen, mußte allerdings noch ein anderer Umstand hinzutreten. Den alten Zankapfel innerhalb der Partei bilden in Magdeburg, wie auch in vielen anderen Städten, die Ausgewiesenen. Dort waren es Adolf Schulze, Malchert, Wollschläger und Eitner. Der Letztere ist Ende September mit Wesnack nach Amerika ausgewandert und die drei anderen sind aus der Organisation ausgetreten. Endlich weilt auch Schneidt zur Zeit in Breslau, wodurch der I. Organisation ein Stein vom Herzen genommen ist.

Indessen ist noch auf die finanzielle Seite hinzuweisen. Das seit Neujahr im Verlage von Bading herausgegebene Wochenblatt „Volksblatt für die Provinz Preussen“ ist bereits am 1. August wegen Mangel an Abonennten eingegangen. Hierdurch hat Singer die Summe von ca. 1400 Mark eingebüßt. An Stelle des eingegangenen Blattes erschien sofort das „Neue Volksblatt“ im ...schen Verlage (die „Thüringer Waldpost“ mit verändertem Kopf). Die geringe Zahl der Abonennten war natürlich der Uneinigkeit zuzuschreiben und suchte Viereck es der I. Organisation wiederholt ans Herz zu legen, eine Versöhnung anzu... Begreiflicher Weise hatte er hierbei die Verbreitung seines Blattes besonders im Auge.

Zu gleicher Zeit spielt die Kandidatenfrage in Magdeburg ebenfalls schon eine große Rolle. Die II. Organisation will von einer Wiederaufstellung Heines absolut nichts wissen. Derselbe hat in ziemlich kleinlicher Weise an verschiedenen Parteigenossen gehandelt. Ferner hat man ihn sein wenig geschicktes Benehmen im Reichstage vorgeworfen und besonders wegen seiner albernen Lügen betreffs der bekannten Gefängniß-Wurst getadelt. Da er bei der Stichwahl seinen Sieg nicht zum Geringsten den kleinen Handwerkern und einer Anzahl der Konservativen zu verdanken hatte, so glaubt man bei der nächsten Wahl auf eine sichere Niederlage rechnen zu dürfen. Auch bei der I. Organisation hat sich die Begeisterung für Heine bedeutend abgekühlt, und ist deshalb bereits die Kandidatur Vierecks in Aussicht genommen worden.

Endlich wird noch von der II. Organisation die Beseitigung des alten Julius Bremer und des Schneiders Wilhelm Habermann von allen Vertrauensposten verlangt. Dieses sind im Wesentlichen die verschiedenen Punkte, welche bei der geplanten Vereinigung zur Erledigung kommen sollen.

Die Eintheilung der Bezirke ist in folgender Weise ?:

Amtlich ist der ganze Wahlkreis in 43 Bezirke eingetheilt. Hiervon sollen zu vier Wahlbezirke einen sozialdemokratischen Organisationsbezirk bilden, nur mit der Ausnahme, daß Buckau, welches 8 Bezirke enthält, wegen seiner großen Anzahl von Parteigenossen drei Bezirke erhält.

Es würden demnach ergeben:

Magdeburg 5 Bezirke:

1.        Grüner Arm (Nordwestl. Stadttheil)

2.        ? zu Friedrichstadt

3.        Neuer Stadttheil (Südlicher Bezirk)

4.        Neuer Stadttheil (Nördlicher Bezirk und Stadtfeld)

5.        ? Bezirk (? Stadttheil)

 

Neustadt 2 Bezirke (alte und neue Neustadt), Buckau 3 Bezirke, Sudenburg 1 Bezirk, in Summe elf Bezirke.

Jeder Bezirk erhält einen Bezirkshauptmann, welche zusammen alsdann das Komité bilden.

Diese verschiedenen Punkte liegen augenblicklich in den einzelnen Bezirksversammlungen zur Berathung vor. In ca. 14 Tagen soll darauf in einer allgemeinen Corpora-Versammlung über die Vereinigung en bloc abgestimmt werden.

Zum Schluß sei noch erwähnt, daß die II. Organisation auf ihre Kosten eine Broschüre „Eine Weihnachtsbetrachtung für die ländlichen Arbeiter der Provinz Sachsen“ herstellen lässt. Das Manuskript ist auch Hamburg übersandt worden, und haben mehrere Parteigenossen desselbe auf die Verhältnisse besser passend übertragen.

Gedruckt soll die Broschüre in Braunschweig bei Vogel und Comp. Werden, wohin das Manuscript abgesandt ist.

Die Auflage soll 6000 Exemplare stark sein und 140 Mark kosten, welche Summe die II. Organisation bei der Fertigstellung baar zu bezahlen sich verpflichtet hat.

Die Vertheilung soll gratis in der Umgegend von Magdeburg und zwar zu Weihnachten geschehen.

Weinert, Wachtmeister 279