Königliches Polizei-Präsidium.

Magdeburg, den 10. September 1891

Geh. Journ. Nr. 144.

Geheim.

An den Königlichen Regierungs-Präsidenten Herrn Grafen Bandissin

Hochgeboren Hier

Betrifft den Stand der sozialdemokratischen Bewegung

Verfügung vom 25. Februar 1888

Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Rep C28 Nr. 860, Bd. 3, Bl. 116-129

Euer Hochgeboren beehre ich mich im Anschluß an meinen Bericht vom 14. März dieses Jahres – Geh. Nr. 125 – gehorsamst Folgendes vorzutragen:

Organisation

Der während er diesjährigen Osterfeiertage hierselbst abgehaltene socialdemokratische Parteitag für den Regierungsbezirk Magdeburg und das Herzogtum Anhalt war ein weiterer Schritt in der sozialdemokratischen Organisation. Die von dem Vertrauensmann festgesetzte Tagesordnung ist dem Parteivorstand vorgelegt worden und hat dessen Zustimmung erhalten.

Auf dem Parteitag vertraten 104 Delegierte 560 Ortschaften. Der Hauptgegenstand der Beratungen war die Auffindung der Mittel und Wege für die Agitation auf dem Lande. Als Ergebnisses des Parteitages sind zu erwähnen die Einsetzung von Landagitations-Kommissionen in den Städten Magdeburg, Halberstadt und Dessau, die Schaffung eines Organs für die Landbevölkerung in der allwöchentlich einmal im Verlage der „Volksstimme“ hierselbst erscheinenden „Landpost“, und Anerkennung der Zeitungen „Volksstimme“, „Halberstädter Sonntagsblatt“ und „Volksblatt für Anhalt“ als offizielle Parteiorgane.

Die Landagitations-Kommission in Magdeburg hat ungesäumt unter der Leitung des Agitators Kampffmeyer ihre Tätigkeit begonnen. ES wurden an den Sonntagen 20 und mehr sich freiwillig stellende „Genossen“ zur Verbreitung sozialdemokratischer Schriften auf das Land geschickt. Zur Verwendung kamen namentlich die Broschüre „Das sociale Elend auf dem Lande“ und die unterm Sozialistengesetz verboten gewesenen Flugschriften „Ceterum Censeo“ und „Anti-Syllabus“, ferner passende Nummern der „Volksstimme“ und Exemplare der „Landpost“, für welche gleichzeitig Abonnenten geworben wurden.

Einen nennenswerten Erfolg hat diese Tätigkeit bisher noch nicht aufzuweisen, das Einschreiten gegen die Verbreiter auf Grund der Bestimmungen der Gewerbeordnung beziehungsweise der §§ 10 und 40 des Preußischen Preßgesetzes vom 12. Mai 1851 hat sogar die einstweilige Einstellung derselben zur Folge gehabt.

Die Zeitung „Landpost“ erscheint gegenwärtig in 1500 Exemplaren.

Die in der vorigen Berichtszeit speziell für den Polizeibezirk geschaffene sozialdemokratische Organisation, bestehend aus 5 Arbeiter-Vereinen mit etwa 1200 Mitgliedern, funktionierte nach Wunsch. Derselben schloß sich namentlich an der „Verein aller in der Eisen- und Metall-Industrie beschäftigten Arbeiter für Magdeburg und Umgegend“, dessen 300 Mitglieder etwa zur Hälfte auch den Arbeiter-Vereinen angehörten. In den Versammlungen dieser Vereine wurde eine rege sozialdemokratische Agitation entwickelt, und in erster Linie auch die Maifeier erörtert und vorbereitet. Diese Tatsache und die demnächstige gemeinschaftliche Begehung der Maifeier führte zur polizeilichen Schließung der genannten 6 Vereine und dadurch zur abermaligen Zerstörung der Organisation der hiesigen Sozialdemokratie. Ihren Zorn hierüber machten die hiesigen Parteiführer in der Weise Luft, daß sie in höhnischer Weise in Versammlungen und in der Presse verbreiteten, daß die polizeiliche Maßregel nur ein Mittel sei, um die sozialdemokratischen Ideen zu stärken; was keine Agitation vermocht, habe die Behörde fertig gebracht, nämlich ein nunmehriges einheitliches Zusammenfassen aller sozialdemokratischen Elemente des Polizeibezirks, die einen großen Verein bilden würden, der aller Zersplitterung in kleinlicher Vereinsmeierei ein Ende mache. Nach langem Hin- und Herstreiten über die Zweckmäßigkeit eines solchen Vereins, gegen welchen namentlich die Buckauer Genossen Stellung nahmen, entstand Ende Juni d. Js. ein solcher mit der Bezeichnung „Allgemeiner Arbeiter-Verein für Magdeburg und Umgegend“, der gegenwärtig etwa 1200 Mitglieder zählt. Ein Statut desselben füge ich gehorsamst bei. Von den in §2 aufgezählten Mitteln zur Erreichung der im §1 genannten Zwecke sind als neu in der Organisation hervorzuheben die in den einzelnen Stadtteilen gebildeten Diskutier-Klubs. Von denselben tut sich der Neustädter Klub hervor durch regen Besuch seiner Mitglieder und fleißiges Besprechen der sozialdemokratischen Lehren zum Zwecke der Ausbildung der Teilnehmer. – Die Errichtung einer Agitatoren-Schule ist vorläufig noch zurückgestellt worden; man glaubt, die Ausbildung von Agitatoren auch in den Diskutier-Klubs bewerkstelligen zu können.

Die gewählte Gewerkschafts-Kommission zur Erörterung der Punkte im §2 unter 2 des Statuts ist bisher zu keiner eigentlichen Tätigkeit gekommen, da die Gewerkschaften meinen, daß ihre Interessen im Arbeiter-Verein nicht genügend berücksichtigt werden können. Es soll auch noch abgewartet werden, welchen Vorteil die in der Bildung begriffene, auf dem internationalen Kongreß in Brüssel warm befürwortete zentralisierte Gewerkschaftsbewegung mit sich bringt. Es herrscht nämlich, wie aus der ganzen Situation erkennbar ist, bei den sozialdemokratischen Führern die lebhafte Besorgnis, daß die Gewerkschaftsbewegung, auf die sie einen bestimmenden Einfluß nicht ausüben, leicht zu einer Verflachung der sozialdemokratischen Prinzipien führen könne.

Die in dieser Beziehung auch hier bestehenden Differenzen werden in nächster Zeit wahrscheinlich zu Gunsten der zentralisierten Gewerkschaftsbewegung beigelegt werden.

Der am 1. August d. Js. auf einen Beschluß des in Frankfurt/M. abgehaltenen Metallarbeiter-Kongresses in Leben gerufene „Metallarbeiter-Verband“ mit dem Hauptsitz in Stuttgart hat in Magdeburg 2 Sektionen, die der Feilenhauer und die der Klempner. Der Letzteren werden sich die sämtlichen Metallarbeiter anschließen.

Die Maurer haben zum großen Ärger der hiesigen sozialdemokratischen Führung ebenfalls eine Zahlstelle des Verbandes deutscher Maurer und verwandter Berufsgenossen, - Hauptsitz Hamburg - , hierselbst errichtet, und der kürzlich in Braunschweig abgehaltene und von hier aus beschickt gewesene Former-Kongreß hat beschlossen, eine Zentralisation mit dem Hauptsitz in Lübeck zu gründen. Die sonst noch hier bestehenden 42 Vereine machen sich nur zum kleinen Teil im Interesse der sozialdemokratischen Bewegung auf politischem Gebiet bemerkbar. Sie kommen nicht sonderlich in Frage, weil ihre Mitgliedschaft verhältnismäßig gering ist.

Von den durch richterliche Erkenntnis vom 18. Dezember 1890 geschlossenen gewerkschaftlichen Vereinen halten hauptsächlich die Schuhmacher und Schneider an ihrer Organisation fest. Ein gewählter Vertrauensmann ersetzt den Verein-Vorstand. Sie behaupten, nunmehr Einzelmitglieder des Hauptverbandes zu sein.

Da diese Manipulation sich lediglich als eine Umgehung des Vereinsgesetzes darstellt, so ist zunächst gegen die Schuhmacher eingeschritten. Das Strafverfahren ist von der Staatsanwaltschaft bereits eingeleitet worden.

Agitation

Die zur Märzfeier d. J. auf rotem Papier erschiene Nr. 11 der „Berliner Volks-Tribüne“ ist hier in 1000 Exemplaren durch die Expedition der „Volksstimme“ zur Verbreitung gekommen. Sie feiert in langen Gedichten und Leitartikeln die Pariser Kommune und deren „Helden“. Ebenso behandelt die entsprechende Nummer der „Volksstimme“ die Vorgänge in Berlin am 18. März 1848.

Die damals noch bestehenden Arbeiter-Vereine, - ausgenommen der in Buckau -, begingen den 18. März in feierlicher Weise durch Abhaltung von Versammlungen, Ansprachen, deklamatorische Vorträge, Stellung lebender Bilder nach revolutionären Gedichten und Tanz. Die Lokalitäten waren rot und mit den Bildern der Parteiführer dekoriert.

Am 1. Osterfeiertag dieses Jahres fand hierselbst eine sozialdemokratische Feier statt zur Einleitung des am folgenden Tage beginnenden Parteitages, deren Verlauf sich als eine Weiderholung der Märzfeier kennzeichnete.

Wegen des wichtigsten und beachtenswertesten Vorganges in der Berichtsperiode, der sozialdemokratischen Maifeier und ihres Verlaufes, erlaube ich mir, auf meinen eingehenden Bericht vom 16. Mai 1891 (III A. 526) Bezug zu nehmen.

Der am 2. Pfingstfeiertag nachdem Biederitzer Busch veranstaltete sozialdemokratische Ausflug hatte etwa 600 Teilnehmer, inkl. Frauen und Kinder.

Eine eigentliche Lassallefeier fand in diesem Jahre nicht statt. Man begnügte sich mit einem Vortrag über Lassalles Leben in einer öffentlichen Versammlung anläßlich der Berichterstattung über den internationalen Kongreß in Brüssel durch den Delegierten Dr. Lux. Der „nationale“ Lassalle ist eben auch für das Gros der Magdeburger Sozialdemokraten abgetan.

Die zum Sedantag in Magdeburg geplante Protestversammlung kam nicht zustande, weil kein Lokal zu haben war. In der am 2. September in Buckau abgehaltenen Versammlung, die von 600 Männern und 100 Frauen besucht war, wurde eine Resolution angenommen, nach welcher das Proletariat gegen die festliche Begehung des Sedantages protestiert, weil hierdurch die Spannung zwischen Deutschland und Frankreich nicht nur erhalten, sondern noch vermehrt werde.

Vor Beginn dieser Versammlung wurde der Wirt aufgefordert, die deutsche Fahne einzuziehen. Er war so schwach, dem Drängen der Sozialdemokraten nachzugeben.

Das am 5. September d. J. abgehaltene Stiftungsfest des „Allgemeinen Arbeiter-Vereins“ war von etwa 1500 Personen, inkl. 550 Frauen und 180 Kindern, besucht. Erwähnenswert sind die auf demselben gestellten lebenden Bilder, nämlich: 1. Kampf des Kapitalismus mit dem Sozialismus (Aufgestellte Geldsäcke werden von Gewehren geschützt, im Hintergrunde schwelgende Bourgeois und arbeitende Proletarier) 2. Zusammenbruch des Kapitalismus und Vereinigung des Militarismus mit dem Proletariat. (Ein Soldat reicht einem Proletarier die Hand, Geldsäcke und Gewehre liegen am Boden. Im Hintergrund Bourgeois und Proletarier.) 3. Sieg des Proletariats (Ein Soldat liegt tot am Boden, seitlich stehende Personen zeigen auf denselben. Im Hintergrunde Bourgeois und Proletarier, die Göttin der Freiheit umstehend.)

Diese Darstellungen, rot beleuchtet, fanden den rauschenden Beifall der Menge.

Die Presse

Die hier erscheinende sozialdemokratische Zeitung „Volksstimme“ hat gegenwärtig 6500 Abonnenten und deckt kaum die Unkosten. Ihre Haltung im politischen Teil richtet sich nach dem leitenden Organ der Partei, der in Berlin erscheinenden Zeitung „Vorwärts“. Nur ab und zu liebäugelt sie auch mit der Opposition. Im lokalen Teil ist die „Volksstimme“ unter der Redaktion des früheren Anarchisten Köster entschieden radikal.

Im Verlage der „Volksstimme“ erscheint ferner die bereits genannte „Landpost“ gleichfalls von Dr. Lux und Köster redigiert, die in der Hauptsache Artikel der „Volksstimme“ zum Abdruck bringt. Der Vertrieb der sonstigen sozialdemokratischen Literatur ist derselbe geblieben. Nach Magdeburg kommen einige Exemplare des „Vorwärts“, einige Exemplare der „Berliner Volks-Tribüne“ und einige Exemplare der von der bekannten Frau Ihrer neu gegründeten und in Hamburg erscheinenden Zeitung „Die Arbeiterin“.

Maßregeln

In der öffentlichen Versammlung vom 3. Juli 1891 hat der Vertrauensmann bekannt gegeben, daß in der Zeit vom 1. Oktober bis zum 1. Juli d. J. die Sozialdemokraten Magdeburgs nach dem sogenannten gemeinen Reicht mit 56 Haussuchungen, 35 Beschlagnahmen, 124 polizeilichen und richterlichen Vernehmungen, 84 Strafmandaten und 15 Strafbefehlen bedacht seien.

77 Personen wurden unter Anklage gestellt und 39 Termine haben stattgefunden.

An Geldstrafen sind verwirkt 1432,60 M und an Gefängnisstrafen erkannt 22 Monate und 3 Wochen. Hierzu kommen Gerichts-, Verteidigungs-, Versäumnis und Entschädigungskosten, sodaß sich eine Gesamtsumme von 10 330 M ergibt.

Der Vertrauensmann knüpfte an diese Zusammenstellung die Bemerkung, daß man mit den getroffenen Maßnahmen nur den Trotz hervorrufe und der Sozialdemokratie in die Hände arbeite. – Gerichtliche Verfahren schweben gegenwärtig gegen die 18 Vorstandsmitglieder 6 geschlossenen Vereine, gegen etwa 50 Schuhmacher wegen Beteiligung an einem geschlossenen Verein und gegen 2 Schuhmacher, darunter der Verleger der „Volksstimme“, wegen Vergehens gegen §§ 110 und 111 des Strafgesetzbuches.

Die gegen den Redakteur Köster wegen Majestätsbeleidigung und öffentlicher Beleidigung durch die Presse ergangenen Erkenntnisse sind noch nicht rechtskräftig.

Allgemeines

Die in Berlin deutlich erkennbar gewordene radikale Strömung in der dortigen Sozialdemokratie hat sich in der Berichtszeit auch hierher verpflanzt. Die „radikaleren Genossen“ haben an Zahl erheblich zugenommen, und der Einfluß der alten Führer ist bedeutend geringer geworden, als er noch im vorigen Jahre war. Bebel, Liebknecht und die anderen Führer ihrer Richtung sind nach den vorhandenen Anzeichen nicht mehr vollständig Herren der Situation, denn die von ihnen gepredigten Lehren zeitigen jetzt Erscheinungen, die ihnen selbst unbequem werden und über den Kopf wachsen. Dasselbe gilt von den alten Führern hier in Magdeburg. Auch sie versuchen dem Worte „Revolution“ eine friedliche Bedeutung zu geben und behaupten, daß die besitzende Klasse die Verhütung von Gewaltakten allein der Hand habe.

Der bekannte Bremer sagte kürzlich in einer öffentlichen Schuhmacherversammlung in dieser Beziehung Folgendes: „Die Sozialdemokratie will ihre Macht auf gesetzlichem Wege erreichen, werde aber demnächst versucht werden, ihr diese Macht wieder zu entreißen, so könne man nicht gut sagen, was dann entstehe, komme es dann zu einer Revolution, so habe man dieselbe der Sozialdemokratie aufgedrängt.“

Ähnlich äußerten sich in jener Versammlung der Verleger der Volksstimme Schuhmacher Meyer und noch ein Genosse. Keiner von den Zuhörern wird bei diesen Zusicherungen an eine „friedliche“ Revolution gedacht haben.

Daß der hiesige Agitator Bremer und seine Gesinnungsgenossen die Taktik der Parteileitung begriffen haben und in ihrem Sinne zu arbeiten suchen, beweist die Stelle eines Leitartikels in dem „Vorwärts“ vom 3. September 1891, welcher sich mit den sogenannten „Jungen“ in Berlin beschäftigt, den Unterschied zwischen gemäßigt und radikal zu definieren sucht und weiter ausführt: „Es sei nicht radikal, sondern Kinderei, wenn man durch einen Majoritätsbeschluß den Krieg abschaffen und den Weltfrieden dekretieren wolle. Die Kraft müsse zu dem Geforderten doch im Verhältnis stehen. Wenn man den Boden der Tatsachen verlasse und sich in die Luft stelle, können man nach Willkür fordern.“

Nach diesen und ähnlichen Mustern werden auch den Sozialdemokraten im Polizeibezirk, namentlich aber den jüngeren Elementen, die Köpfe verdreht und so kann es dann nicht auffallen, wenn bei der Feier des 18. März oder bei der des Stiftungsfestes des „Allgemeinen Arbeiter-Vereins“ Sachen zur Darstellung gebracht werden, welche die Endziele der Sozialdemokratie deutlich enthüllen. Derartige Darstellungen wirken mehr, als Reden auf die heranwachsende Jugend, die, wie ein hiesiger Agitator sich ausdrückte, vom „Sedanrummel der an Blutvergießen erinnere“, fern gehalten werden müsse.

Bei Veranstaltungen, wie die erwähnten Festlichkeiten der Sozialdemokraten, wird ihnen der Haß gegen alles Bestehende beigebracht, hier werden sie zu zielbewußten Parteijüngern herangebildet. Die Gefahr der sozialdemokratischen Bewegung im Polizeibezirk liegt aber in der Verführung der Jugend durch die Umsturzpartei. Man will erreichen, daß die zum Militär kommenden Leute fertige Sozialdemokraten sind. Im „Militarismus“ erblicken die Parteiführer die Hauptstütze des heutigen Staates und der heutigen, wie sie sich ausdrücken, „morschen“ Gesellschaftsordnung. Redakteur Köster meinte gelegentlich des Parteitages, daß auch die „Hochburgen der Kriegervereine“ erstiegen werden müßten, und es ist daher notwendig geworden, eine andauernde Kontrolle der Mitglieder dieser Vereine herbeizuführen.

Daß die Sozialdemokratie des Polizeibezirkes den Erlaß von Ausnahmemaßregeln eventuell erwartet, beweisen die mit vielem Beifall aufgenommenen Auslassungen des bekannten Agitators Werner aus Berlin in einer im August d. J. hier abgehaltenen öffentlichen Versammlung. Werner sagt u.a. „Wenn den besitzenden Klassen die proletarische Bewegung zu viel werde, würde ein Ausnahmegesetz geschaffen, viel schärfer als das frühere, und dann könnte es kommen, daß die Massen auseinander flögen, wenn kein richtiges Verständnis vorhanden sei, deshalb müßten die Köpfe der Arbeiter revolutioniert werden.“

Alles in Allem liegt die sozialdemokratische Bewegung im Polizeibezirk so, daß die vorhandenen gesetzlichen Bestimmungen energisch angewandt werden müssen, um die Ordnung und Sicherheit einigermaßen aufrecht zu erhalten, gegen den größten und gefährlichsten Teil der sozialdemokratischen Wühlereien ist mit den bestehenden Gesetzen und Verordnungen überhaupt nicht mit Erfolg anzukämpfen. Dabei werden alle polizeilichen Maßnahmen in der Presse und in öffentlichen Versammlungen bespöttelt, verhöhnt und verlacht, so daß für die der Sozialdemokratie gegenüber an exponierter Stelle stehenden Polizeibeamten das ganze Pflichtgefühl und das volle Bewußtsein ihrer schweren Verantwortung Seiner Majestät, dem Staat und der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber  dazu gehört, um in ihrem Eifer für Gesetzlichkeit und die Wahrung der Interessen der öffentlichen Ordnung nicht nachzulassen und auf die Dauer zu erlahmen.

Von besonderen Schritten der Arbeitgeber zur Hebung der materiellen Lage des Arbeiterstandes in der Berichtszeit ist nichts zu erwähnen.

Der Polizeipräsident Keßler