Resolution deutscher Sozialisten in Zürich vom 10. Januar 1885 gegen die Dampfersubvention

"Der Sozialdemokrat" Nr. 4, 22. Januar 1885

Die Versammlung der deutschen Sozialisten in Zürich vom 10. Januar hat in Beratung der im deutschen Reichstag eingebrachten Dampfersubventionsvorlage sich einstimmig dahin erklärt, dass aus prinzipiellen wie taktischen Gründen diese Vorlage von der Sozialdemokratie im Reichstage abzulehnen sei.

Diese Gründe sind:

Die Dampfersubvention ist nur eine der notwendigen Vorbedingungen zur Kolonialpolitik. Nach den Zollkriegen, in denen eine Nation die Folgen der heutigen Produktionsweise auf die andere abzuwälzen sucht, ist für die heutigen Staats- und Wirtschaftspolitiker die Gründung überseeischer Kolonien das letzte Auskunftsmittel aus der Anarchie der gegenwärtigen wirtschaftlichen Zustände.

Während im Lande alle Magazine überfüllt und Tausende von Arbeitern zur Erwerbslosigkeit verdammt sind, sucht man dieser Überproduktion damit einen Ausweg zu bahnen, dass man "wilden" Völkerschaften Bedürfnisse angewöhnt, auf welche die arbeitenden Klassen im eigenen Lande infolge niedergedrückter Löhne und Erwerbslosigkeit Verzicht leisten müssen, unbekümmert um die verhängnisvollen Folgen solcher "Zivilisation" für die Opfer derselben.

Alle aus dieser beabsichtigter, Kolonialpolitik sich ergebenden unvermeidlichen Opfer an Gut und Blut müssen bei dem in Deutschland herrschenden System der indirekten Steuern fast ausschließlich von der arbeitenden Klasse getragen werden.

Für alle diese Opfer erhalten die Arbeiter nur das leere Versprechen auf künftigen Arbeitszufluss, der aus diesem Raubzug zur Erschließung günstiger Beutefelder (für die Bourgeoisie) angeblich resultieren soll - ein Versprechen, das schließlich bei den Schutzzöllen, bei unproduktiven Ausgaben, wie für Kasernenbauten, bei allen Verschwendungen der privilegierten Klassen etc. gegeben werden kann, und ein Arbeitszufluss, der auch im günstigsten, hier aber für lange Zeit hinaus höchst unwahrscheinlichen Fall immer nur nach Maßgabe des ehernen Lohngesetzes in Betracht kommen kann.

Ein solch widersinniges Schachergeschäft aber widerspricht der Würde der Partei und schließt auf der anderen Seite eine Anerkennung des heutigen Systems der Beraubung der arbeitenden Massen um ihren Arbeitsertrag in sich, die den Interessen der Partei zuwiderläuft.

In dieser ganzen Politik erkennt die Sozialdemokratie als klassenbewusste Vertreterin der Arbeitenden und Unterdrückten aller Nationen nur eine Verschleppung der Lösung der sozialen Frage, an welcher Verschleppung teilzunehmen unsere Vertreter im Reichstage nicht berufen sind.

Solange das infame Ausnahmegesetz besteht und wir unterdrückt und rechtlos sind, sollten unsere Abgeordneten für keine Forderung der Regierung stimmen, welche nicht direkt unserem Programm, das heißt den Interessen der Arbeiterklasse entspricht. Zu positivem Schaffen auf dem Gebiete der Arbeitergesetzgebung bieten sich viel bessere Gelegenheiten dar als das Eintreten für eine Maßregel, die vollständig auf dem schwindelhaften heutigen Produktionssystem beruht.

Aus der Dampfersubvention ist also weder eine Förderung der Arbeiterinteressen noch auch eine Milderung der aus der Klassenlage für die Arbeiter hervorgehenden Übel zu ersehen; ebenso gehört die bei dieser Frage angeblich waltende Harmonie der Fabrikanten- und Arbeiterinteressen wie bei allen anderen Wirtschaftsfragen der herrschenden Klassen in das Reich der Fabel.

Genossen in Deutschland! Wir glauben nach alledem, dass es für unsere Partei von höchster Wichtigkeit ist, in dieser Frage Stellung zu nehmen und die Gründe, die wir in dieser Resolution zum Ausdrucke gebracht, zu prüfen. Wenn Ihr mit uns der gleichen Ansicht seid, so bewirkt durch die Euch geeignet erscheinenden Maßnahmen, dass ein Schritt vermieden werde, der für unsere Partei verhängnisvolle Folgen nach sich ziehen könnte.

Mit sozialdemokratischem Gruße!

Die Mitgliedschaft der deutschen Sozialisten in Zürich

Folgende Mitgliedschaften haben zu obiger Resolution ihre Zustimmung erklärt: Aarau, Biel, Chur, Emmishofen, Frauenfeld, Genf, Lausanne, Luzern, Neuenburg, Rheinfelden, Schaffhausen, Vevey, Yverdon, Zug.