Kleine Chronik der Geschichte der antiautoritären Arbeiterbewegung in Deutschland

Vorgeschichte

1. März 1863

Das „offene Antwortschreiben“ Lassalles, eine Entgegnung auf die Anfrage des Zentralkomitees zur Berufung eines allgemeinen deutschen Arbeiterkongresses in Leipzig, erscheint. Darin plädiert Lassalle für die Bildung einer politischen Arbeiterpartei, die mit Hilfe des allgemeinen Wahlrechts – mittels der Gründung von Produktivgenossenschaften mit Staatshilfe – die schrittweise Befreiung der Arbeiterklasse erkämpfen soll.

23. Mai 1863

Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) in Leipzig. Lassalles „offenes Antwortschreiben“ wurde zur programmatischen Basis des ADAV.

31. August 1864

Ferdinand Lassalle, der Führer des ADAV, an den Folgen eines Duells gestorben.

28. September 1864

Gründung der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) in London.

7. – 9. August 1869

Gründung der „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei“ (SDAP)  in Eisenach.

10. Februar 1874

Erlass einer Novelle zur Gewerbeordnung in Preußen, wodurch das Versammlungs- und Streikrecht er Arbeiter wieder eingeschränkt wurde. So wurde z.B. schon die „kampfbetonte Aufforderung zum Streik“ verboten.

30. März 1876

„Vorläufige“ Schließung der SAPD in Preußen und mehreren anderen Bundesstaaten, darunter Bayern und Sachsen.

19. – 23. August 1876

Allgemeiner Sozialistenkongress in Gotha. 98 Delegierte vertreten 38.000 Mitglieder an 291 Orten. Aufgrund des Parteiverbotes erfolgt die Bildung eines Zentralwahlkomitees zur „permanenten Leitung der sozialistischen Wahl- und Parteiagitation, das an die Stelle des Parteivorstandes tritt. Die beiden Parteiorgane Der Volksstaat und der Neue Social-Demokrat werden zugunsten des neu zu gründenden Vorwärts. Central-Organ der Sozialdemokratie Deutschlands unter Redaktion von Liebknecht und Hasenclever eingestellt.

1. Oktober 1876

In Elberfeld erscheint unter der Redaktion Hasselmanns die Rothe Fahne, die in Konkurrenz zum offiziellen Parteiorgan Vorwärts tritt. Im Oktober 1877 eingestellt.

27. – 29. Mai 1877

Allgemeiner Sozialistenkongress in Gotha. 95 Delegierte vertreten 32.000 Mitglieder an 251 Orten. Die Partei erklärt, angesichts einer „von preußischen Behörden mit unerhörter Dreistigkeit förmlich proklamierte(n) völlige(n) Rechtlosigkeit sozialistischer Vereine“ keine festgefügte Organisation mehr anzustreben und es den lokalen Parteigenossen zu überlassen, „sich je nach den örtlichen Verhältnissen und Bedürfnissen zu organisieren.“

Anfänge des Anarchismus 1875-1887

11. Mai 1878

Gescheitertes Attentat des Klempnergesellen Max Hödel auf den Kaiser Wilhelm I. in Berlin.

20. Mai 1878

Der Entwurf des „Gesetzes zur Abwehr sozialdemokratischer Ausschreitungen“ wird durch Bismarck dem Reichstag vorgelegt.

2. Juni 1878

Dr. Karl Nobiling, Nationalökonom, schießt mit einer Schrotflinte auf Kaiser Wilhelm I. und verwundet ihn schwer.

11. Juni 1878

Auflösung des Reichstages auf Betreiben Bismarcks, da dieser den Entwurf des Sozialistengesetzes nicht bestätigt hatte.

30. Juli 1878

Reichstagswahlen. Der Stimmenanteil für die Sozialdemokratie geht von 9,1 auf 7,6% zurück.

19. Oktober 1878

Der Vorstand der Sozialdemokratie beschließt auf einer Delegiertenkonferenz in Hamburg die Selbstauflösung der Partei. Durch die Schaffung unpolitischer („farbloser“) Blätter soll die Verbindung unter den Parteigenossen aufrechterhalten werden.

19. Oktober 1878

Das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ wird vom Reichstag mit 221 gegen 149 Stimmen angenommen und am 21. Oktober vom Bundesrat bestätigt.

28. November 1878

Verhängung des „Kleinen Belagerungszustandes“ über Berlin, 67 Sozialdemokraten werden ausgewiesen.

15. Dezember 1878

Mit der Laterne, herausgegeben von Karl Hirsch in Brüssel, erscheint die erste Auslandszeitung der deutschen Sozialdemokratie, die jedoch keinen lange Bestand hat und im Juni 1879 wieder eingestellt wird.

4. Januar 1879

Die erste Ausgabe der Freiheit erscheint unter Federführung von Johann Most in London.

17. März 1879

Wilhelm Liebknecht gibt im Reichstag im Namen der sozialdemokratischen Partei eine Erklärung ab, in der sie sich verpflichtet, die herrschenden Gesetze, inklusive des Sozialistengesetzes, streng zu beachten.

9. Juli 1879

Zusammenkunft der Reichstagsfraktion und Berliner Vertrauensleuten in Berlin-Lichterfeld, auf der Hasselmann verpflichtet wird, „sich mit seinen Blättern der Parteibehörde zu unterstellen“. Diese hält sich jedoch nicht daran, was einer der Gründe für seinen späteren Ausschluss aus der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion sein wird.

28. September 1879

Die erste Nummer der Wochenzeitung Sozialdemokrat als Organ der Parteileitung der Sozialdemokratie erscheint in Zürich. Damit soll dem Einfluss der Freiheit entgegengewirkt werden.

4. Mai 1880

Das Sozialistengesetz wird vom Reichstag mit 181 gegen 94 Stimmen bis 1884 verlängert. In der Reichstagsdebatte erklärt der sozialdemokratische Abgeordnete Wilhelm Hasselmann in Anspielung auf die Attentate russischer Anarchisten, dass „die Zeit des parlamentarischen Schwätzens vorüber ist und die Zeit der Taten beginnt“. Die sozialdemokratische Fraktion distanziert sich daraufhin von ihrem Abgeordneten.

20.-23. August 1880

Kongress der Sozialdemokratischen Partei in Wyden (Schweiz). Wilhelm Hasselmann und Johann Most werden aus der Partei ausgeschlossen und wenden sich in der Folge dem Anarchismus zu.

28. Oktober 1880

Verhängung des „Kleinen Belagerungszustandes“ über Hamburg, 75 Sozialisten werden ausgewiesen.

1. März 1881

Attentat der „Narodnaja Wolja“ auf den russischen Zaren Alexander II. in Petersburg, an dessen Folgen der Zar am 13. März 1881 erlag.

27. Juni 1881

Verhängung des „Kleinen Belagerungszustandes“ über Leipzig

27. Oktober /

10. November 1881

Reichstags- / Stichwahlen. Die Sozialdemokratie verliert gegenüber den Wahlen von 1878 ca. 120.000 Stimmen (= 6,1%), was von der politischen Polizei auf die Wahlenthaltung der Anhänger Mosts zurückgeführt wird.

17. November 1881

In einer „Kaiserlichen Botschaft“ kündigt Wilhelm II. sozialpolitische Reformen an, damit wird die Zeit der „milden Praxis“ des Sozialistengesetzes, die bis 1886 andauerte, eingeleitet.

1882

Die Gründung von lokalen Fachvereinen der Arbeiter wird wieder erlaubt, eine Gründungswelle ist die Folge.

19.-21. August 1882

Parteikonferenz in Zürich, 16 Vertreter der sozialdemokratischen Partei, auf der es u.a. um die Schreibweise und Rolle des Sozialdemokrat ging.

29. März – 2. April 1883

Parteikongress der deutschen Sozialdemokratie in Kopenhagen. Bei der Diskussion zur Stellung zur Sozialpolitik im Reichstag kommen starke befürwortende Tendenzen unter den sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten zutage.

31. Mai 1883

Das Krankenkassengesetz wird vom Reichstag verabschiedet. Die Sozialdemokratie kritisiert, dass die Verwaltung der Kassen in den Händen der Unternehmer liegt und das es auf Fabrikarbeiter beschränkt ist.

26. April 1884

Novellierung des Gesetzes über die freien Hilfskassen, Einschränkung ihrer Befugnisse.

12. Mai 1884

Der Reichstag beschließt die Verlängerung des Sozialistengesetzes bis 1886. Bebel erklärt die „Väter des Sozialistengesetzes“ als die „Väter der Anarchisterei“.

6. Juli 1884

Das Unfallversicherungsgesetz tritt in Kraft.

28. Oktober /

11. November 1884

Reichstags- / Stichwahlen. Mit einem Stimmenzuwachs auf 9,7% ist die Trendwende für die Sozialdemokratische Partei erreicht.

18. Februar 1886

Der Polizeispitzel Ihring-Mahlow wird – als Auftakt zur Debatte um die Verlängerung des Sozialistengesetzes – durch den sozialdemokratischen Abgeordneten Singer im Reichstag öffentlich entlarvt.

31. März 1886

Der Reichstag beschließt die Verlängerung des Sozialistengesetzes bis zum 30. September 1888.

11. April 1886

Streikerlass des preußischen Innenministers Robert von Puttkamer zur Eindämmung der anwachsenden Streikaktivitäten. Damit endet die Zeit der „milden Praxis“ des Sozialistengesetzes.

8. Mai 1886

Verhängung des „Kleinen Belagerungszustandes“ über Spremberg

26. Juli - 4. August 1886

Geheimbundprozess in Freiberg/Sachsen, der erste von insgesamt 55 Geheimbundprozessen in ganz Deutschland (bis Ende 1889). Er endet mit der Verhängung von mehrmonatigen Gefängnisstrafen für führende Sozialdemokraten, darunter Auer, Bebel, Frohme, v. Vollmar aufgrund von „geheimer Verbindung“ (auf den Kongressen in Wyden und Kopenhagen). Insgesamt wurden dabei 236 Sozialdemokraten und/oder Gewerkschafter zu Freiheitsstrafen verurteilt.

16. Dezember 1886

Verhängung des „Kleinen Belagerungszustandes“ über Frankfurt/Main.

14. Januar 1887

Auflösung des Reichstages durch Bismarck. In der Öffentlichkeit wird eine Atmosphäre der Kriegsgefahr und innerpolitischer Bedrohung durch die Sozialdemokratie geschürt, um die zuvor vom Reichstag abgelehnte Militärvorlage (Septennat) doch noch zu erreichen. Zusammenschluss der Konservativen und Nationalliberalen zu einem Kartell.

15. Februar 1887

Verhängung des „Kleinen Belagerungszustandes“ über Stettin

21. Februar /

2. Mai 1887

Reichstags- / Stichwahlen. („Faschingswahlen“). Weiterer Stimmenzuwachs für die Sozialdemokratie, sie erreicht 10,1% der gültigen Stimmen, verliert aber aufgrund einer neuen Wahlkreisaufteilung 13 Mandate.

11. März 1887

Verabschiedung der Militärvorlage durch den Reichstag, in dem u. a. die Erhöhung der Stärke des Heeres sowie der Militärausgaben festgeschrieben wird.

2. – 6. Oktober 1887

Parteitag der deutschen Sozialdemokratie in St. Gallen

3. Oktober 1887

Prozess gegen Neve vor dem Reichsgericht Leipzig beginnt.

Dampfersubventionsstreit 1884/85

20. November 1884

Der Gesetzentwurf zur Subventionierung von privaten Dampfschifffahrtslinien in die Kolonien wird von Bismarck dem Reichstag vorgelegt.

Anfang Dezember 1884

Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion beschließt, „die Abstimmung über die Dampfersubvention offen zu lassen“, da es „sich hier um eine Zweckmäßigkeits- und nicht um eine Prinzipienfrage handelt.“ und entsendet Bebel und Dietz in die vom Reichstag gebildete Kommission zur Dampfersubventionsvorlage. [Sozialdemokrat, 11. Dezember 1884] Sie liefert damit den Anlass zum Ausbruch des „Dampfersubventionsstreits“ in der sozialdemokratischen Partei.

10. Januar 1885

Versammlung der deutschen Sozialisten in Zürich, in der einstimmig eine Resolution angenommen wird,  in der die Dampfersubventionsvorlage „aus prinzipiellen wie taktischen Gründen“ abgelehnt wird.

22. Januar 1885

Im Sozialdemokrat (Nr. 4) erscheint die Züricher Resolution, die in der Folge von zahlreichen Organisationen deutscher Sozialdemokraten im In- und Ausland unterstützt wird.

29. Januar 1885

Ein Arbeiterschutzgesetzentwurf der sozialdemokratischen Fraktion wird dem Reichstag vorgelegt, der im Wesentlichen den Geltungsbereich der bestehenden Sozialgesetze, die auf Alte und Kranke beschränkt waren, auf alle Arbeiter ausdehnen sollte.

18. Februar 1885

In einer Fraktionssitzung wird von einer Mehrheit der Abgeordneten beschlossen, im Falle dass „die einzustellenden Schiffe neue Dampfer ersten Ranges und auf deutschen Werften gebaut sein müssen“ für den Teil der geplanten Schifffahrtslinien zu stimmen, die als nicht die Kolonialpolitik befördernd erachtet werden. Zwar könne „nicht daran gezweifelt werden, dass die ganze Dampfersubventionsvorlage der Kolonialpolitik dienen würde“, aber die „ostasiatische und auch die australische Linie (...) dem Handel gewisse Vorteile bieten würde“. [Sozialdemokrat Nr.9, 26.2.1885]

20. März 1885

Die Reichstagsfraktion verabschiedet eine Erklärung, in der die vom Sozialdemokrat an der Fraktion geübte Kritik in der Dampfersubventionsfrage für „unzulässig“ erklärt wird.

23. März 1885

Die Dampfersubventionsvorlage wird vom Reichstag mit 166 gegen 152 Stimmen angenommen, die sozialdemokratische Fraktion stimmt geschlossen dagegen, da die von ihr gestellte Bedingung – der Bau aller Dampfschiffe auf deutschen Werften – nicht garantiert worden war.

29. - 30. März 1885

Liebknecht weilt in Zürich und überarbeitet die Fraktionserklärung vom 20. März 1885.

2. April 1885

Im Sozialdemokrat (Nr.14 ) erscheint die Erklärung der Reichstagsfraktion vom 20. März in einer abgeschwächten Form, in der die Parteinahme gegen die Fraktion im Dampfersubventionsstreit kritisiert und die Kontrolle über das Zentralorgan beansprucht wird. Gegen die Erklärung hatten 6 Abgeordnete gestimmt, darunter Bebel, Liebknecht und v. Vollmar.

5. April 1885

In einem Brief an die sozialdemokratische Fraktion erklärt Bebel, dass er sich gegen die Erklärung der Fraktion vom 20. März 1885 verwahre, da sich darin „die Fraktion zum absoluten Herrscher über die Haltung des Parteiorgans“ aufwerfe. Damit habe sie „ihre Kompetenz weit überschritten“, wenn die Fraktion versuche, dieser Resolution „praktisch Geltung zu verschaffen“ sehe er sich veranlasst, „gegebenen Falles an die Partei zu appellieren.“

16. April 1885

Die Redaktion des Sozialdemokrat teilt in einer Notiz mit, dass sie die Erklärung der Fraktion kommentarlos abgedruckt habe, da die Fraktion bereits in den Ferien war, weswegen auch die zahlreich eingegangenen Zuschriften aus Parteikreisen dazu noch nicht veröffentlicht worden seien. Die Einsender werden um Geduld bis zum Ende der Fraktionsferien gebeten. [Sozialdemokrat Nr.16, 16. April 1885]

21. April 1885

Gemeinsame Sitzung der Redaktion des Sozialdemokrat mit Vertretern der Fraktion (Grillenberger, Liebknecht) in Zürich zur Klärung der Streitigkeiten. Nach heftigen Auseinandersetzungen zwischen Vertretern der Fraktion und der Redaktion des Sozialdemokrat wird ein Kompromiss gefunden, in dem der Sozialdemokrat als „Organ der Gesamtpartei“ bezeichnet wird, die aber durch die Fraktion vertreten werde. [Sozialdemokrat Nr.17, 23.04.1885]

23. April 1885

Im Sozialdemokrat wird ein Protestschreiben der Frankfurter Parteiorganisation veröffentlicht, in dem die parlamentaristische Taktik und die Erklärung der Fraktion zum Sozialdemokrat scharf kritisiert und die „Genossen des In- und Auslandes“ zur Parteinahme aufgefordert werden. [Sozialdemokrat Nr.17, 23.04.1885]

Anfang Mai 1885

Geiser stellt in der Fraktion den Antrag, Bernsteins als leitenden Redakteur des Sozialdemokrat seines Postens zu entheben, was jedoch am Eingreifen Liebknechts scheitert, der seinerseits mit Rücktritt als Redakteur des Zentralorgans droht.

1. Mai 1885

In einer Erklärung der Sozialdemokraten Offenbachs wird die Behauptung aufgestellt, dass der Protest der Frankfurter Sozialdemokraten ein Machwerk von Polizeispitzeln wäre.

7. Mai 1885

Der Abgeordnete Frohme wendet sich in einer bürgerlichen Zeitung, dem Frankfurter Journal in diffamierender Weise gegen die Protestnote der Frankfurter Sozialdemokraten. Der Artikel wird dann im Sozialdemokrat vom 14. Mai 1885 nachgedruckt, eine Antwort Bebels erscheint am 21. Mai 1885, um schließlich ihren Disput in der – ebenfalls bürgerlichen – Frankfurter Zeitung fortzusetzen.

Damit verschärft sich der ohnehin schon heftige Streit in der Partei, der nun auch in verschiedenen bürgerlichen Zeitungen ausgetragen wird.

21. Mai 1885

Im Sozialdemokrat erscheint ein Protestschreiben Bebels gegen die Angriffe Frohmes auf die Frankfurter Parteigenossen. Darin weist er, der zufällig selbst vor Ort war, dessen Behauptung zurückweist, die Proteste werden nur von einer kleinen Minderheit der Frankfurter Partei unterstützt. Er erklärt, dass er die Frankfurter Erklärung „nicht in allen Punkten“ billigen könne, nimmt deren Unterstützer aber ausdrücklich in Schutz, „im Glauben, eine Pflicht gegen die Partei zu erfüllen“ gehandelt zu haben.

23. Mai 1885

Stellungnahme der Frankfurter Sozialdemokraten zu den Angriffen Frohmes in Reaktion auf ihr Protestschreiben. Sie nehmen für sich in Anspruch, die revolutionären Traditionen der Partei und ihrer Vorkämpfer gegen die „wissenschaftlichen Entstellungen“ Frohmes und der ihn unterstützenden Fraktionsmehrheit zu verteidigen.

Juni 1885

Der Landesausschuss der deutschen Sozialisten in der Schweiz beschließt, vorerst keine Gelder mehr an die Partei(leitung) in Deutschland abzuführen, um diese „im gegebenen Falle der Richtung zur Verfügung stellen zu können, welche uns prinzipiell als die richtige erscheint“.

Juli 1885

Die Reichstagsfraktion präsentiert eine Rechenschaftsbericht „an die Parteigenossen!“ über ihr Verhalten in der Dampfersubventionsfrage, in dem zwar die Umwandlung in eine „parlamentarische Opportunitätspartei“ verworfen wird, es aber eingestandenermaßen zu keiner „Einigung der differierenden Meinungen gekommen“ ist.

28. bis 30. September 1885

Geheimbundprozess gegen Bebel und acht weitere Sozialdemokraten vor dem Chemnitzer Landgericht. Die Anklage wegen „Geheimbündelei“ hatte die Teilnahme am Kopenhagener Parteikongress zugrunde, es wurden mehrmonatige Haftstrafen verhängt.

5. November 1885

Stadtverordnetenwahlen in Berlin, von 13 sozialdemokratischen Kandidaten werden 2 (Singer und Mitan) gewählt, sodass weiterhin 5 sozialdemokratische Vertreter im Abgeordnetenhaus vertreten sind.

Dezember 1885

Die Fraktion fordert die Frankfurter Genossen auf, sich „jedem gehässigen Vorgehen gegeneinander“ zu enthalten. Die Fraktion wird ermächtigt, „Ruhestörer deren Nichtzugehörigkeit zur Partei eventuell auszusprechen“.

Bewegung der Jungen 1887-1891

30. Juli 1887

Berliner Volks-Tribüne als Organ der Oppositionellen begründet. An ihrer Spitze steht der ehemalige Redakteur des Berliner Volksblattes, Max Schippel.

2. – 6. Oktober 1887

Parteitag der Sozialdemokratie in St. Gallen (Schweiz). Auf ihm wird einerseits die „positive gesetzgeberische Tätigkeit“ der Reichstagsfraktion im Allgemeinen und ihre Stellung in der Dampfersubventionsfrage im Besonderen sowie andererseits die Anarchisten und solche Tendenzen in der Sozialdemokratie bezüglich ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Staat verurteilt.

1. November 1887

Eine in die Tonhalle einberufene sozialdemokratische Versammlung zur Kommunalwahltaktik wird verboten.

12. November 1887

In der Berliner Volks-Tribüne erscheint ein von Mitgliedern des Berliner Reichstags- bzw. Stadtverordneten-Wahlkomitees unterzeichneter Aufruf zur „vollständigen Wahlenthaltung“ bei den Stadtverordneten-Wahlen in Berlin. Als Gründe dafür werden die Unterdrückung der sozialdemokratischen Wahlagitation, die Einflusslosigkeit der Tätigkeit auf kommunaler Ebene, deren geringer agitatorischer Wert sowie das ungerechte Drei-Klassen-Wahlsystem angeführt.

13. November 1887

Im Berliner Volksblatt erscheint ein von zwanzig Personen – darunter die Stadtverordneten Görcki, Mitan und Tutzauer – unterzeichneter Aufruf zur Beteiligung an den Kommunalwahlen, da die Gemeinde durchaus – etwa als Arbeitgeber der städtischen Betriebe oder durch die Einrichtung von Gewerbegerichten – Einfluss auf die Belange der Arbeiter nehmen könne.

17. November 1887

Auf einer Wahlversammlung des 37. Kommunalwahlbezirkes wird vom Stadtverordneten Tutzauer ein wahlbefürwortendes Referat gehalten und eine Resolution mehrheitlich angenommen, in dem zur Wahlbeteiligung aufgefordert wurde.

19. November 1887

In der Berliner Volks-Tribüne erscheint ein Protest des Berliner Zentral-Komitees gegen die Wahlresolution im 37. Wahlbezirk, die als Verstoß gegen die Parteidisziplin gewertet wurde, da mehrheitlich von den Berliner Genossen Wahlenthaltung beschlossen worden war.

21. November 1887

Bei den Kommunalwahlen in Berlin erlitten die Sozialdemokraten zwar einige Stimmrückgänge, insgesamt konnten deren Kandidaten dennoch einige Achtungserfolge erzielen.

13. Dezember 1887

Bei den Stichwahlen in Berlin trägt der sozialdemokratische Kandidat des 37. Wahlbezirks, Gustav Splettstößer, mit knapper Mehrheit den Sieg über den liberalen Gegenkandidaten davon.

8. Februar 1888

Im Reichstag wird ein neues Wehrgesetz verabschiedet, in dem u. a. eine Ausdehnung der Wehrpflicht festgelegt ist.

17. Februar 1888

Der Reichstag beschließt die Verlängerung des Sozialistengesetzes.

9. März 1888

Wilhelm I. gestorben, Nachfolger wird Friedrich III.

12. März 1888

In einer öffentlichen Versammlung wird mehrheitlich eine Resolution angenommen, nach der „die Beteiligung an Kommunalwahlen abzulehnen“ ist, da der Aufwand in keinem Verhältnis zum Nutzen stehe und zudem die Partei Gefahr laufe, durch „Strebertum“ und „Autoritätshascherei“ der Abgeordneten korrumpiert zu werden.

8. Juni 1888

Der preußische Innenminister v. Puttkamer tritt zurück.

15. Juni 1888

Friedrich III. gestorben, Nachfolger wird Wilhelm II.

27. November 1888

Vorlage eines Gesetzentwurfes zur Alters- und Invalidenversicherung im deutschen Reichstag, das Gesetz wird am 24. Mai 1889 – gegen die Stimmen der Sozialdemokratie – beschlossen und tritt am 1. Januar 1891 in Kraft.

8. Dezember 1888

Beginn einer Streikwelle der Former Deutschlands, die stellenweise bis Mai 1890 andauert.

3. Mai – 6. Juni 1889

150.000 Bergarbeiter streiken in den Steinkohlenrevieren des Ruhrgebietes, Schlesiens, Sachsens und des Saarlandes. Die größte Streikwelle in Deutschland im 19. Jahrhundert endet mit einem Kompromiss.

24. Mai 1889

Im Reichstag wird das Gesetz über die Invaliditäts- und Altersversicherung gegen die Stimmen der Sozialdemokratie angenommen.

14.-20. Juli 1889

Internationaler Arbeiterkongress in Paris, auf dem beschlossen wurde, am 1. Mai 1890 „eine große internationale Manifestation zu organisieren, und zwar dergestalt, dass gleichzeitig in allen Ländern und in allen Städten an einem Tag die Arbeiter an die öffentlichen Gewalten die Forderung richten, den Arbeitstag auf acht Stunden festzusetzen.“ Verschiedene Vorschläge, zum allgemeinen Streik an diesem Tage aufzurufen, werden von der deutschen Delegation abgeschmettert.

Auf dem Kongress wird zudem auf die Eroberung der politischen Macht und das Eintreten für eine wirksame Arbeiterschutzgesetzgebung durch die sozialdemokratischen Parteien orientiert.

21. Oktober 1889

Anlässlich des zehnten Jahrestages der Verhängung des Sozialistengesetzes finden in zahlreichen Städten symbolische Aktionen, wie z. B. Fahnenhissungen, statt.

Ende 1889

bis April 1890

Im Vorfeld der Maifeier finden reichsweit zahlreiche Versammlungen statt, auf denen Resolutionen zugunsten einer allgemeinen Arbeitsruhe am 1. Mai verabschiedet werden.

18. November bis Mitte Dezember 1889

Elberfelder Geheimbundprozess, der größte und längste der Geheimbundprozesse. 90 Sozialdemokraten wurden anklagt und 44 von ihnen zu z.T. mehrmonatigen Gefängnisstrafen verurteilt.

25. Januar 1890

Der Reichstag lehnt mit 169 gegen 98 Stimmen eine weitere Verlängerung des Sozialistengesetzes ab.

4. Februar 1890

Zwei Erlasse Wilhelm II. werden veröffentlicht, in denen die Erweiterung der Arbeiterschutzgesetzgebung angekündigt wird.

20. Februar /

20. März 1890

Reichstags- / Stichwahlen. Die Sozialdemokratie wurde mit ca. 1,4 Millionen für sie abgegebenen Stimmen stärkste Partei, ihr Stimmenanteil verdoppelte sich annähernd auf 19,7%.

Am 22. Februar erlässt das Zentralwahlkomitee der sozialdemokratischen Partei einen Aufruf, in dem – entgegen den Beschlüssen des St. Gallener Parteitages von 1887 – zur Beteiligung an den Stichwahlen aufgefordert wird. Es sollen die Kandidaten gegnerischer Parteien gewählt werden, die erklärt haben, sich einer erneuten Verlängerung des Ausnahmegesetzes im Reichstag zu widersetzen.

20. März 1890

Rücktritt des Reichskanzlers v. Bismarck, Ablösung durch v. Caprivi.

22. März 1890

Führende Berliner Sozialdemokraten plädieren in der Berliner Volks-Tribüne (Nr. 12)  in einem Aufruf „Was soll am 1. Mai geschehen?“ für eine allgemeine Arbeitsruhe am 1. Mai.

25. März 1890

Im Berliner Volksblatt erscheint eine Replik aus „Fraktionskreisen“ auf den Aufruf der Berliner Genossen. Darin wird diesen vorgeworfen, der Entscheidung der Fraktion vorzugreifen und allen Parteigenossen empfohlen, „nicht eher Schritte in dieser Angelegenheit zu tun, bis die Fraktion, als Vertreterin der Partei, gesprochen hat.“

13. April 1890

Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion beschließt auf einer Tagung in Halle/Saale einen Aufruf „An die Arbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands!“, in dem vor einer allgemeinen Arbeitsniederlegung gewarnt wird, da durch diese eine Neuauflage des gerade nicht mehr verlängerten Sozialistengesetzes provoziert werden könnte. Lediglich da, wo man die „Arbeitsruhe am 1. Mai ohne Konflikte erwirken kann, da möge es geschehen“.

25. April 1890

Die Hamburger Gewerkschaften entscheiden sich mit „überwältigender Majorität“ für eine „möglichst“ allgemeine Arbeitsruhe. Auch in vielen anderen Städten entscheiden sich die Arbeiter in den noch stattfindenden Versammlungen gegen den Aufruf der Fraktion und für Streiks am 1. Mai.

1. Mai 1890

Nur ca. 100.000 ... 200.000 Arbeiter legen die Arbeit nieder. Lediglich in Hamburg, Altona und München gab es bedeutendere Streiks, die in Hamburg teilweise bis September andauern. Die Parteileitung konnte verkünden: „In ruhiger Majestät und in majestätischer Ruh verlief der große Tag“, weil „die Polizei der Arbeiter wachte!“ [Sozialdemokrat, 10.5.1890]

6. Mai 1890

Ein Gesetzentwurf zur Abänderung der Gewerbeordnung, in dem u.a. Kinder- und Sonntagsarbeit eingeschränkt und Arbeiterschutzvorschriften festgelegt werden, wird durch v. Caprivi im Reichstag eingebracht. Zwei Tage später folgt ein Alternativentwurf der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion.

28. Juni 1890

Ein Gesetz über die Einrichtung von Gewerbegerichten zur Regelung von Streitfragen zwischen Arbeitern und Unternehmern wird vom Reichstag gegen die Stimmen der Sozialdemokratie verabschiedet.

4. Juli 1890

Versammlung mit Wilhelm Werner im Berliner Tivoli als – nach Hans Müller – erstes organisiertes Auftreten der Opposition.

23. Juli 1890

In der Sächsischen Arbeiterzeitung erscheint der Artikel Bruno Willes „Der 1. Oktober“ und löst eine breite Diskussion aus.

29. Juli 1890

Bebel veröffentlicht im Berliner Volksblatt Nr. 173 eine Erklärung, in der er die „bubenhafte Kampfweise“ der Opposition zurückweist und der Sächsischen Arbeiterzeitung eine „passende Antwort“ ankündigt.

7. August 1890

Antwort Bebels auf den Artikel Willes und die Kritik an der Parteileitung erscheint im Berliner Volksblatt (Nr. 181): „Die ‚Sächsische Arbeiterzeitung’ und tutti quanti“. Darin verwahrt er sich gegen die Anschuldigungen der Opposition und verlangt, dass diese die Namen nenne, auf die sie sich beziehen. Er warnt davor, dass die Auseinandersetzung von der bürgerlichen Presse zur Verleumdung der Sozialdemokratie benutzt werden können und kündigt eine Abrechnung mit der Opposition auf dem Parteitag in Halle an.

8. August 1890

Gründung der „Freien Volksbühne“ Berlin als Plattform der Opposition.

9. August 1890

Veröffentlichung des Entwurfs für ein neues Organisationsstatut durch den Parteivorstand in der sozialdemokratischen Presse.

10. August 1890

Versammlung mit Bebel im Dresdener Trianonsaale, die „ungerechtfertigten Angriffe auf die Parteileitung durch die Sächsische Arbeiterzeitung wird in einer Resolution getadelt.

12. August 1890

Auf einer Versammlung in der „Volksbrauerei“ Moabit des sozialdemokratischen Vereins des VI. Berliner Wahlkreises, kommt es zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen Fraktionsbefürwortern und Opposition. Schließlich unterstützt sie in einer Resolution die Kritik des Hauptredners, Bruno Wille, und stellt den Antrag an die Parteileitung, den Wahlmodus für den Kongress so zu gestalten, dass für je 5000 Genossen ein Delegierter gewählt wird.

13. August 1890

Versammlung mit Bebel in Magdeburg, die Redaktion der oppositionellen Volksstimme wird zum Rücktritt veranlasst.

25. August 1890

Versammlung mit Bebel und Wille vor über 5000 Zuschauern in der Berliner Volksbrauerei, große Mehrheit für Bebels Resolution (ca. 4000 gegen 300...400 Stimmen).

27. August 1890

Wille antwortet auf Bebel in der Sächsischen Arbeiterzeitung und legt die konkreten Kritikpunkte der Opposition dar.

13. September 1890

Engels Kritik an den Jungen: „Antwort an die Redaktion der ‚Sächsischen Arbeiterzeitung’“ erscheint im Sozialdemokrat

30. September 1890

Das Sozialistengesetz läuft offiziell aus.

12.-18. Oktober 1890

Parteitag der Sozialdemokratie in Halle mit 15 Delegierten der Opposition. Auseinandersetzungen um das neue Organisationsstatut. Eine Neuner-Kommission verurteilt das Verhalten W. Werners, sieht aber von Ausschluss ab. Der Parteitag sprach – bei Enthaltung Werners – der Fraktion und ihrer Politik das Vertrauen aus.

16.-17. November 1890

Konferenz der Gewerkschaften in Berlin, Konstituierung der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands unter Vorsitz C. Legiens.

1. und 3. Februar 1891

Im Vorwärts wird die Marx’sche Kritik des – immer noch gültigen – Gothaer Programms der Sozialdemokratie (vom 5. März 1875) veröffentlicht und damit eine heftige Auseinandersetzung in der Partei vom Zaume gebrochen.

4. Februar 1891

Aufruf der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion, die Maifeier am darauffolgenden Sonntag zu begehen. Engels stimmt in einem Brief der Aufforderung zu, aufgrund der schlechten Konjunkturlage nicht zu streiken, hält den Aufruf aber für „ein jammervoll mattes Gewächs.“ [MEW38, S. 32]

13. Februar 1891

In einer Stellungnahme begrüßt die Parteileitung die Marx’sche Kritik am Gothaer Programm, distanziert sich jedoch gleichzeitig davon und lehnt insbesondere die Kritik an der Rolle Lassalles ab. Sie sieht es zudem als ihr Verdienst an, trotz der Marxschen Einwände das Gothaer Programm damals so beschlossen zu haben.

Anfang April 1891

In einer öffentlichen Volksversammlung der Arbeiter des 6. Berliner Wahlkreises wird mit überwältigender Majorität eine Resolution angenommen, nach der  „jeder Parteigenosse, dem es irgend möglich ist, verpflichtet ist, den 1. Mai durch Arbeitsruhe zu feiern.“ Sie stellt sich damit in Gegensatz zur Parteileitung, die zur Feier am darauffolgenden Sonntag plädiert hatte. [Berliner Volks-Tribüne 14/91]

27. April – 5. Mai 1891

Ca. 20.000 Bergarbeiter des Ruhrreviers streiken erfolglos für die Achtstundenschicht. Gegen die Streikenden wird Militär eingesetzt.

8. Mai 1891

Der Reichstag nimmt eine Gewerbeordnungsnovelle gegen die Stimmen der Sozialdemokratie an, in denen verschiedene Arbeiterschutzmaßnahmen (Sonn- und Feiertagsruhe, Beschränkung der Arbeitszeit und Verbot der Nachtarbeit für Kinder und Frauen ...) festgeschrieben werden.

1. Juni / 6. Juli 1891

„Eldorado“-Reden v. Vollmars in München, in denen er für ein „allmähliches Hineinwachsen“ in den Sozialismus und eine Zusammenarbeit mit bürgerlichen Parteien zur Verbesserung der Lage der Arbeiter plädiert sowie den „Dreibund“ als „Garanten des Friedens“ bezeichnet.

9.  Juni 1891

Schuhmacherversammlung in Berlin mit Wilhelm Werner als Referenten („Lassalle und die Sozialdemokratie“), auf der einstimmig eine Resolution angenommen wurde, in der Vollmars Ansichten als „unsozialistisch“ erklärt und diesem das Recht abgesprochen wurde, weiterhin die Interessen des Proletariats zu vertreten.

3. Juli 1891

Versammlung im Berliner Feenpalast zur Wahl der Delegierten für den Brüsseler Internationalen Arbeiter-Kongress. Es kommt zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Bebel und der Opposition. Die Debatte entzündet sich an dem Thema der Maifeier, über deren Termin und Charakter der Brüsseler Kongress bestimmen sollte und endet mit einer ergebnislosen prinzipiellen Diskussion um den Parlamentarismus und die Politik der Parteileitung.

Bebel warnt die Opposition, dass wenn sie „mit der Haltung und Taktik der Partei sich nicht versöhnen könne, sie Gelegenheit bekomme, eine eigene Partei zu gründen.“ Die Debatte wird schließlich ohne Ergebnis vertagt.

4. Juli 1891

Veröffentlichung des Programmentwurfes des Parteivorstandes im Vorwärts. Dieser basiert auf einem überarbeiteten Entwurf Wilhelm Liebknechts, in den auch die Kritiken Bebels, Engels‘ und anderer führender Sozialdemokraten eingegangen sind.

9. Juli 1891

Fortsetzung der Versammlung vom 3. Juli im Feenpalast vor gut 4000 Zuhörern. R. Baginski und Wildberger erläutern die Kritikpunkte der Opposition, Bebel verteidigt die Parlamentspolitik der Fraktion. Die Auseinandersetzungen enden mit einer mit überwältigender Mehrheit (gegen 200 Stimmen) angenommenen Resolution, die die bisherige Parteitaktik gutheißt und dafür plädiert, die Maifeier auf den ersten Sonntag im Mai zu verlegen und die Art und Weise der Feierlichkeiten den jeweiligen Landesvorständen zu überlassen.

Als Delegierte für den Brüsseler Kongress werden allerdings die der Opposition zuneigenden Robert Schmidt, Fritz Zubeil und Ottilie Baader gewählt.

Mitte Juli 1891

Das Flugblatt „An die sozialdemokratischen Parteigenossen Berlins“ mit den grundsätzlichen Kritiken der Opposition an der Parteileitung erscheint. Es ist die Antwort auf die Ausschlussdrohung Bebels, in ihm werden die Kritikpunkte der Opposition erstmals ausführlich dargelegt. Die Parteileitung reagiert mit einer landesweiten Presse- und Versammlungskampagne gegen die Opposition.

16. Juli 1891

In einer von 4000 Anhängern besuchten Versammlung in Berlin stellt Bebel den Programmentwurf der Parteileitung vor.

25. August 1891

In einer Versammlung des Wahlvereins des sechsten Berliner Wahlkreises, in der das Mitglied der Parteileitung, Albin Gerisch, über „Kritik und das Prinzip der Disziplin“ referiert, kommt es zu einer lebhaften Debatte zwischen dem Oppositionellen Eugen Ernst und dem Fraktionsmitglied Ignaz Auer. Die Diskussion wurde schließlich ergebnislos abgebrochen und auf den 1. September vertagt.

1. September 1891

Fortsetzung der Versammlung vom 25. August im Berliner Eiskeller-Saal. Eugen Ernst legt die Kritikpunkte der Opposition dar, verweist aber darauf, dass er nicht Urheber des Flugblattes der Opposition sei. Auer legt in längerer Rede die Positionen der Parteileitung dar, jedoch kommt es wieder zu keiner Annahmen einer gemeinsamen Resolution durch die Versammlung. Die Diskussion wurde erneut – auf den 9. September – vertagt.

9. September 1891

Fortsetzung der Versammlung vom 1. September im Kolberger Salon. Auer verliest die für den Erfurter Parteitag durch die Parteileitung zusammengestellte Zusammenfassung der Kritikpunkte der Opposition und forderte deren Vertreter auf, dass sie diese Punkte entweder mit „Beweisen oder Zurücknehmen!“ sollen. Nach langer Diskussion wurde schließlich die folgende Resolution mit großer Mehrheit (1000 gegen 100 Stimmen) angenommen: „Die heutige Versammlung erklärt: 1. Die Befürchtung, dass die sozialdemokratische Partei durch die bisher geübte Taktik einer Versumpfung entgegengeht, entbehrt jeder Begründung. 2. In Erwägung, dass innerhalb der sozialdemokratischen Partei von jeher die freie Meinungsäußerung gewaltet hat, ist die Versammlung der Ansicht, dass dieselbe auch ferner bestehen wird. Dagegen erkennt die Versammlung eine organisierte Opposition, falls eine solche bestehen sollte, nicht an, nachdem die Zwecklosigkeit einer solchen in den letzten drei Versammlungen deutlich nachgewiesen ist.“

13. September 1891

Versammlung im Berliner Feenpalast zur Berichterstattung der Berliner Delegierten zum Brüsseler Sozialistenkongress. Zwei von der Opposition eingebrachte Resolutionen, wovon die eine das Verhalten Wilhelm Liebknechts gegenüber dem antiparlamentarisch eingestellten holländischen Sozialisten Nieuwenhuis tadelte und die andere den Ausschluss der Anarchisten vom Kongress missbilligte, werden mit großer Mehrheit abgelehnt. Stattdessen erklärt sich die Versammlung mit den Verhalten der Delegierten in Brüssel und den dort gefassten Beschlüssen einverstanden.

Bei der anschließenden Wahl der Delegierten zum Erfurter Parteitag war unter den 15 Gewählten nur ein Vertreter der Opposition (G. Niederauer).

6. Oktober 1891

Im Vorwärts werden sämtliche Programmentwürfe, über die auf dem Erfurter Parteitag beraten werden soll, veröffentlicht.

14.-20. Oktober 1891

Erfurter Parteitag der Sozialdemokratie. Eine „Neuner-Kommission“ empfiehlt dem Parteitag den Ausschluss der führenden Berliner Oppositionellen Wildberger und Werner – was durch die Mehrheit der Delegierten bestätigt wird. Die Magdeburger Vertreter, Auerbach, Baetge und Schultze, erklären ihren Austritt aus der Partei.

21. Oktober 1891

Im Vorwärts erscheint eine Protestnote der Berliner Delegierten auf dem Erfurter Parteitag gegen das Verhalten der Berliner Opposition.

Oktober/November 1891

In allen Versammlungen der Berliner Wahlkreise, in denen die Delegierten vom Parteitag in Erfurt berichteten, wurden Resolutionen angenommen, die das Verhalten der aus der Partei Ausgetretenen verurteilen.

Verein Unabhängiger Sozialisten (VUS) 1891-1894

20. Oktober 1891

Auf einer Versammlung im Lokal „Zur Ressource“ in Berlin berichten Auerbach, Werner und Wildberger von den Vorgängen auf dem Parteitag in Erfurt. Die 600 Anwesenden stimmen einer Resolution zu, in der die Gründung eines Vereins zur Vertretung der Grundsätze der Opposition aufgefordert wird.

8. November 1891

In einer von mehr als 500 Personen besuchten Veranstaltung in Joels Festsälen konstituiert sich der „Verein unabhängiger Sozialisten“.

14. November 1891 In der Berliner Volks-Tribüne wird das „Manifest der unabhängigen Sozialisten“ veröffentlicht.

15. November 1891

Die erste Ausgabe der Wochenschrift Der Sozialist – Organ der unabhängigen Sozialisten erscheint in Berlin.

15. Dezember 1891 Gründung des Vereins Unabhängiger Sozialisten Magdeburgs und Umgegend als eine der wenigen Filialen von Bedeutung in der Provinz.
25. bis 27.Februar 1892 Arbeitslosenunruhen im Zentrum Berlins. Die Demonstrationen und Versammlungen wurden von der Polizei aufgelöst. Die Sozialdemokratische Partei verurteilte die „Straßenkrawalle“ und rief die Berliner Arbeiter auf, sich von ihnen fernzuhalten.
23. März 1892 Eine Berliner Vertrauensmännerversammlung des VUS forderte die Anhänger in der Provinz auf, sich ebenfalls in Gruppen zu organisieren
19. Juni 1892 Im „Sozialist“ erscheint ein Aufruf der Berliner an die Unabhängigen im Reich, sich enger zusammenzuschließen und alle noch bestehenden Bindungen zur alten Partei abzubrechen. Die Organisation soll nach  einem „losem Vertrauensmännersystem […] ohne Zentralleitung an der Spitze“ erfolgen. Es wird vorgeschlagen, vor Ort jeweils Vertrauensleute zu wählen, „die untereinander und mit uns in mündlichen oder schriftlichen Verkehr treten.“
Sommer 1892 In der „Sozialistischen Bibliothek“, einer Schriftenreihe des Vereins unabhängiger Sozialisten (VUS), erscheinen mehrere programmatische Schriften von führenden Vertretern des VUS.
7. August 1892 Das Ansinnen von Berliner Anarchisten, künftig einen Vertreter in die Presskommission des „Sozialist“ entsenden zu wollen, wird von den Unabhängigen abgelehnt. Das sei erst möglich, wenn die Anarchisten ihre Bindungen zur Londoner „Autonomie“ fallen ließen. Daraufhin ziehen sich die Anarchisten aus der Bewegung der Unabhängigen zurück.
22. Oktober 1892 Gründung der „Neuen freien Volksbühne“ unter der Federführung Bruno Willes nachdem die Differenzen zwischen den Vertretern der alten Sozialdemokratie und der Unabhängigen in der „Freien Volksbühne“ nicht länger zu überbrücken waren.
29. Oktober 1892 Mit der Veröffentlichung eines Programm-Entwurfs der Berliner Unabhängigen im „Sozialist“ (Nr.44/1892) wird eine Programm-Diskussion eröffnet. In einem Vorwort zum Entwurf wird „individualistischen […] Anschauungen […] die genau wie die offizielle Sozialdemokratie Organisation und Disziplin verwechselten“ eine Absage erteilt. [Link]
Ende 1892 Anarchisten versuchen nach dem Scheitern eines eigenen Zeitungsprojektes wieder verstärkt Einfluss im VUS zu gewinnen. Eine Konferenz süddeutscher und rheinländischer Anarchisten beschließt den Boykott des „Sozialist“, weil dieser sich weigert, anarchistische Artikel aufzunehmen.
21. Januar 1893 Im Leitartikel des „Sozialist“ (Nr.2/1893) zur Forcierung der Programmdebatte werden gegenüber den Anarchisten deutlich versöhnlichere Töne angeschlagen.
Februar 1893 Nach heftigen Auseinandersetzungen im Berliner VUS wird Gustav Gustav Landauer die Redaktion des „Sozialist“ übertragen, der diesen für Anarchisten öffnet.
21. -22. Mai 1893

Konferenz der Unabhängigen in Magdeburg. 22 Delegierte aus mehreren Städten Deutschlands, darunter Berlin, Magdeburg, Leipzig und Braunschweig, diskutieren ihr Verhältnis zum Anarchismus und die Zukunft des Wochenblattes „Der Sozialist“. Es wird eine Resolution verabschiedet, in der die Redaktion aufgefordert wird, künftig eine tagesaktuellere Ausrichtung und einfachere Schreibweise für die Agitation unter den Proletariern zu pflegen.  Weiterhin wird die Herausgabe eines Flugblattes in hoher Auflage beschlossen, das reichsweit verbreitet werden soll. Zum internationalen sozialistischen Kongress in Zürich im August 1893 sollen drei Delegierte entsandt werden.

Über das Verhältnis zu den Anarchisten konnte keine endgültige Einigung erzielt werden. In der Diskussion plädierte die Mehrzahl gegen eine Umbenennung in „Anarchisten“ (oder auch „Communisten“), da letztlich der Begriff „kommunistischer Anarchismus“ gleichbedeutend mit „Sozialismus“ sei.
23. Mai 1893 Unmittelbar nach der Magdeburger Konferenz tritt in Berlin eine „Einigungskommission“ von Unabhängigen und Anarchisten zusammen, wobei erstere nur durch Eugen Ernst vertreten waren. Es wird keine Einigung oder auch nur Annäherung erzielt. Das Treffen geht mit dem Vorschlag Ernsts auseinander, dass künftig jede Fraktion ihrer eigenen Wege gehen soll.
13. Juni 1893 Angesichts der bevorstehenden Reichstagswahlen kommt ein in 100.000 Exemplaren gedrucktes Flugblatt der „unabhängigen Sozialisten“ in mehreren Städten Deutschlands zur Verteilung. In diesem wird der Parlamentarismus ausführlich kritisiert und stattdessen der ökonomische Kampf des Proletariats propagiert.
18. Juni 1893 Eine Anzahl von Vertrauensleuten und die Mitglieder der Presskommission, darunter Eugen Ernst und Carl Wildberger, sagt sich vom „Sozialist“ und VUS los. Damit ist die Trennung von unabhängigen Sozialisten und Anarchisten vollzogen. Die unterlegene Minderheit gibt in der Folge zwei Flugblätter an die „Werten Genossen“ heraus, in der sie ihren Schritt begründet.
22. Juni 1893 Die Gegner der Anarchisten im VUS Berlin werden in Abwesenheit all ihrer Ämter enthoben. Es wird eine (neue) dreiköpfigen Pressekommission sowie zwei Posten für Vertrauensleute neu besetzt.
2. Juli 1893 Eine Vertrauensmännersitzung der (Rest-) Unabhängigen in Berlin beschließt Neuorganisation des VUS. Der „Sozialist“ soll nun auch offiziell für Anarchisten geöffnet und zwei ihrer Vertreter in der Presskommission zugelassen werden. Eine organisatorische Verschmelzung mit den Anarchisten wird aber weiter nicht in Betracht gezogen.
16. Juli 1893 Auf einer gemeinsamen Zusammenkunft wird eine offizielle Einigung zwischen Berliner Unabhängigen und Anarchisten erzielt. Es wird eine Presskommission aus 5 Unabhängigen  und 2 Anarchisten gewählt, wobei letztere keinen Einfluss auf die Schreibweise nehmen sollen. Künftig werden auch wieder gemeinsame Sammlungen für die Inhaftiertenfonds durchgeführt. Zum  internationalen Sozialistenkongress in Zürich werden Wilhelm Werner und Gustav Landauer als gemeinsame Delegierte entsandt.
22. Juli 1893 „Der Sozialist“ erscheint erstmals mit dem Untertitel „Organ aller Revolutionäre“ und kann in der Folge seine Auflage steigern.
6. bis 12. August 1893 Internationaler Sozialistischer Arbeiterkongress in Zürich. Zum Kongress hatten auch Anarchisten und Unabhängige ihre Vertreter entsandt, die jedoch auf Vorschlag der Vertreter der deutschen Sozialdemokratie nach z.T. tumultuarischen Auseinandersetzungen am 8. August vom Kongress ausgeschlossen werden, da durch mehrheitlichen Beschluss nur noch Delegierte zugelassen werden, deren Organisationen „die politischen Rechte und die Gesetzgebungsmaschinerie nach Kräften benutzen oder zu erobern suchen zur Förderung der Interessen des Proletariats oder zur Eroberung der politischen Macht“.
10. bis 13. August 1893

Internationale Konferenz der „revolutionären Sozialisten und Anarchisten“ in Zürich. Auf diesem spontan einberufenen Treffen versammeln sich die vom Internationalen Arbeiterkongress Ausgeschlossenen und deren Sympathisanten. Es wird schließlich eine versöhnliche Resolution verabschiedet, in der der Hoffnung Ausdruck verliehen wird: „dass wir als revolutionäre Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten zusammengehen können und keine unversöhnlichen Feinde sind.“

Im Gefolge des Ausschlusses der Anarchisten und unabhängigen Sozialisten vom Internationalen Kongress in Zürich wird jedoch die Spaltung der beiden Lager vertieft.
31. Januar 1894 Nach einer Kontaktaufnahme der ausgeschlossenen „gemäßigten“ unabhängigen Sozialisten zu ihren alten Genossen wird von der Vertrauensleutesitzung des VI. Berliner Wahlkreises dem Ersuchen auf Wiederaufnahme in die sozialdemokratische Partei wird schließlich stattgegeben. Andere Wahlvereine folgen diesem Beispiel.
14. April 1894

Selbstauflösung des VUS Berlin, nachdem die Rest-Gruppen der Unabhängigen den Verein durch Gründung von Diskutier-Klubs und Vereinen der „revolutionären“ oder „freien Sozialisten“, „Kommunisten“ oder „Anarchisten“ usw. überflüssig gemacht hatten.

Der „Sozialist“ ist – neben persönlichen Kontakten der Vertrauensleute untereinander – nun das organisierende Organ der mehr oder weniger anarchistisch orientierten Gruppen in Deutschland.

15. November 1894

In einer Rede diagnostiziert Bebel, dass die Partei sich zwar quantitativ vermehrt, qualitativ jedoch nicht verbessert habe, sie sei ins „opportunistische Fahrwasser“ geraten. Vollmar war Bebel daraufhin vor, dass er auf den „Wege(n) der ausgeschlossenen Unabhängigen wandele“.

September 1902 Auf dem Münchener Parteitag der SPD wird die Ausschlussresolution von 1891 gegen Baetge, Lamprecht, Werner und Wildberger aufgehoben.