Ludwig Unruh

Arbeiter, Arbeitereliten und das Problem der Arbeit

Anmerkungen zu Seidman[1]: „Gegen die Arbeit. Über die Arbeiterkämpfe in Barcelona und Paris 1936-38“

Im Verlag der Graswurzelrevolution ist – gerade noch rechtzeitig zum 75. Jahrestag der Ereignisse – ein Buch in deutscher Übersetzung erschienen, das die beiden wohl wichtigsten Klassenkämpfe Europas der 1930er Jahre zum Thema hat: die spanische Revolution (1936-39) und die Welle der Fabrikbesetzungen in Frankreich (1936-1938), die beide in Volksfrontregierungen der Linken mündeten.

Der Autor, der us-amerikanische Historiker Michael Seidman, untersuchte das Verhalten der Arbeiter in den kollektivierten Fabriken bzw. bei den Betriebsbesetzungen und ihre Reaktionen auf die veränderten Machtverhältnisse am Arbeitsplatz. Er kommt, das sei vorausgeschickt, zu einem ernüchternden Ergebnis: letztlich sind sowohl die spanische Revolution als auch die Volksfront in Frankreich am anhaltenden Widerstand der Arbeiter gegen die Arbeit gescheitert, ergo – die Arbeiter haben ihre eigene Befreiung durch individuellen und kollektiven, aktiven wie passiven Widerstand gegen die durch Krieg bzw. Kriegsgefahr verschärften Arbeitsanforderungen in der Produktion sabotiert.

Der Produktivismus der Arbeitereliten

Trotz unterschiedlicher sozialer und politischer Bedingungen in Frankreich und Spanien glich sich das Verhalten der Arbeiter: sie versuchten weiterhin möglichst wenig zu arbeiten und forderten höhere Löhne ein. In Barcelona sah sich die anarchosyndikalistische CNT unmittelbar nach der Revolution in eine Rolle gezwungen, die sie zuvor energisch bekämpft hatte. Beim Versuch, die kollektivierten Fabriken wieder in Gang zu bekommen und für die Erfordernisse des Krieges zu reorganisieren warf sie so manches Prinzip über Bord. Führende Vertreter revidierten ihre kritische Einstellung gegenüber der kapitalistischen Produktionsmaschinerie und wandelten sich zu Verfechtern einer teilweise recht kruden Arbeitsideologie. Diego Abad de Santillán, einer der herausragenden anarchosyndikalistischen Theoretiker und 1936/37 katalanischer Wirtschaftsminister, schrieb noch 1931, dass der „moderne Industrialismus nach dem Muster von Ford […] reiner Faschismus“ und ebenso wie der „staatliche Faschismus“ zu bekämpfen sei. Aber schon 1933, also noch vor der Revolution, pries er das den Arbeiter vollends zum Anhängsel der Maschinerie degradierende System des Taylorismus dafür, dass es die „unproduktiven Bewegungen des Einzelnen“ beseitigt und „seine Produktivität“ gesteigert habe. Er plädierte nun dafür, die „technische Organisation der kapitalistischen Gesellschaft“ zu übernehmen, da sich durch die Vergesellschaftung „das Wesen der Produktion oder die Produktionsmethode nicht“ ändere. Lediglich „die Verteilung der Produktion“ solle „gerechter werden“. Er vertrat ein geradezu protestantische Ethos, nachdem der, der „nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ soll und hoffte, dass der Widerstand der Arbeiter gegen die Arbeit nur vorübergehender Natur sei: „Das Heil liegt in der Arbeit und der Tag wird kommen, da die Arbeiter es wollen.“ Mit dieser Meinung stand Santillán nicht allein, im Buch sind noch zahlreiche ähnlich geartete Beispiele führender Anarchisten und Syndikalisten aufgeführt. [81ff]

In den kollektivierten Betrieben wurden zunächst von der Belegschaft gewählte Räte installiert, die ein weitgehend demokratisches System der Arbeiterkontrolle einführten. Vielerorts wurden durch diese Räte Arbeitszeiten gekürzt, Löhne erhöht und Arbeitslose eingestellt. Die Produktivität ließ merklich nach, wodurch die Versorgung der Bevölkerung wie auch der Soldaten an der Front gefährdet wurde. Die Gewerkschaftsführungen suchten dem gegenzusteuern. Sie appellierten an die Arbeiter, ihre Leistungen zu erhöhen – und wenn dies nichts nützte, griff man auch zu Drohungen gegen „faule Parasiten“. Schon bald entwickelte sich eine „neue Elite der Gewerkschaftsaktivisten“, die „alte und neue Zwangsmethoden [nutzte], um die Arbeiter zu härterer Arbeit und gesteigerter Produktion zu bewegen.“ [154] Sie sang das „erhabene Lied der Arbeit“ und pries die Gewerkschaftsföderation als „die Form schlechthin, die ein Maximum an Effizienz und Arbeitsleistung von ihren Mitgliedern abschöpfen“ könne. [251–252] Die durch die katalanische Regierung per Dekret eingeführte 40-Stunden-Woche wurde als „ruinös, selbstmörderisch und konterrevolutionär“ [148] bekämpft (alle Zitate aus der zeitgenössischen CNT-Presse), die in der Revolution abgeschaffte Akkordarbeit wieder eingeführt und von einigen CNT-Gewerkschaften sogar der sowjetische Stachanowismus (eine politisch aufgeladene Form des Taylorsystems) als Methode zur Produktionssteigerung propagiert. Man stützte sich dabei auch auf die alten Techniker, denen nun auch unter dem neuen Regime zahlreiche Privilegien eingeräumt wurden. [155]

Damit unterschied sich die Rolle der CNT in dieser Hinsicht kaum mehr von der der Bolschewiki in Russland. Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft wurde defacto obligatorisch, Gewerkschaftsversammlungen wurden zunehmend zu Propagandaveranstaltungen zur Erhöhung der Arbeitsdisziplin. Der Versammlungsbesuch und die Bereitschaft, Beiträge abzuführen, war entsprechend mäßig. [152] Ende 1936 wurden unter der Ägide des CNT-Justizministers Juan García Oliver sogar Arbeitslager (campos de trabajo) für die „Feinde des Volkes“ eingerichtet, denen man zwar einen fortschrittlicheren Charakter als ihren sowjetischen Pendants attestierte, die aber nichtsdestotrotz dazu dienen sollten, den „Volksfeinden“ durch harte Arbeit beim Straßenbau das „parasitäre Leben“ auszutreiben. [158–161] Auch in Punkto Nationalismus gab es ähnliche Tendenzen wie in der Sowjetunion. In der „Solidaridad Obrera“, der Tageszeitung der CNT in Barcelona, wurden Losungen ausgegeben, wie „Spanien den Spaniern“ oder „Unsere Revolution muss spanisch sein.“, was schließlich sogar ausländische Genossen auf den Plan rief, die – wie z. B. Schapiro – scharf den „Chauvinismus“ der spanischen Genossen kritisierten. [156–157] Und nicht zuletzt ähnelte der Personenkult, der um Durruti betrieben wurde in fataler Weise an den um Lenin oder Stalin in der Sowjetunion. Offensichtlich hatten diese Methoden kaum mehr Erfolg, als unter dem kapitalistischen Fabrikregime. Noch Ende 1938 klagte z. B. Felipe Aliz, während der 1930er Jahre Herausgeber namhafter anarchosyndikalistischer Zeitungen, dass das „wesentliche Problem Spaniens das Problem des Nicht-Arbeitens“ sei und die daraus resultierende niedrige Produktivität „den unabänderlichen künftigen Ruin“ verheiße. [246]

Soweit Seidmans Darstellung der Situation in Barcelona. Auf die Schilderung der französischen Verhältnisse soll hier nur kurz eingegangen werden. Das Verhalten der Pariser Arbeiter glich, so der Autor, dem ihrer Klassengenossen in Barcelona. Zwar gab es in Frankreich keine Revolution, was auf den höheren Entwicklungsstand der Produktivkräfte in Frankreich und das damit verbundene höhere Lebensniveau zurückzuführen sei, aber doch ein deutlich zugunsten der Arbeiterklasse verschobenes Kräfteverhältnis. Die Welle von Betriebsbesetzungen und die Volksfrontregierung hatten dazu geführt, dass dort eine Reihe von Forderungen, wie z. B. die 40-Stunden-Woche und ein 2-wöchiger bezahlter Urlaub, durchgesetzt werden konnten. Aber auch hier endete der Widerstand der Arbeiter gegen die Arbeit damit nicht, sondern wurde noch intensiviert. Daran konnte auch der drohende Krieg gegen das faschistische Deutschland nichts ändern, die Arbeiter mieden die Arbeit, so sehr sich „ihre“ Gewerkschafts- und Parteivertreter auch bemühten. Erst die gewaltsame Niederschlagung der Streikwelle 1938 brachte die Wende und die Wiedereinführung der 48-Stunden-Woche und damit eine deutlich steigende Arbeitsproduktivität.

Die bürgerlichen Wurzeln des „Arbeitsplatzutopismus“

Zu welchem Fazit kommt der Autor? Er nimmt für sich – im Gegensatz zu seinen Historiker-Kollegen – in Anspruch, den Blickwinkel der einfachen Arbeiter einzunehmen. Er sieht, dass diese in ihrer Mehrheit auch den neuen Regimes von Anfang an skeptisch gegenüberstanden und sehr schnell in einen Widerspruch zu den Arbeiteraktivisten, den Gewerkschafts- und Parteifunktionären, gleich welcher Couleur, gerieten. Die meisten Chronisten der spanischen Revolution haben, so Seidman, immer nur die politisch-ideologischen Auseinandersetzungen in der spanischen Republik ins Zentrum der Betrachtung gestellt und „das zentrale Problem […], nämlich die Scheidung zwischen Aktivsten einerseits […] und Arbeitern andererseits“ vernachlässigt. [257] Seidman sieht zwar die politischen Differenzen etwa zwischen Anarchisten und Kommunisten/Sozialisten, unterstellt ihnen aber allen eine Ideologie der Arbeit(sverherrlichung). Dieser „Produktivismus“ resultiere aus einem in der bürgerlichen Aufklärung wurzelnden „Arbeitsplatz-Utopismus“. Die Arbeiter sollten, nachdem sie die Produktionsmittel übernommen hatten, das Werk der Bourgeoisie, die Modernisierung der Wirtschaft, weiter vorantreiben und eine auf der Arbeit als „einzigem Zeichen gesellschaftlichen Ansehens“ und „größte[r] Quelle des Stolzes der befreiten Arbeiter“, so z. B. der CNT-Wirtschaftsminister Juan Fábregas, beruhende Gesellschaft errichten. [141] Und damit gerieten sie von Anfang an in einen unauflösbaren Konflikt mit den Arbeitern, in deren „Utopie“ der Arbeit kein oder nur ein sehr geringer Stellenwert eingeräumt wurde. [39–40] Letztlich waren die Funktionäre der Arbeiterorganisationen gezwungen, sich der Hilfe des Staates zu bedienen, um die Arbeiter zum Arbeiten zu bewegen. Dieser Widerspruch konnte nie überbrückt werden, woran schließlich sowohl die Revolution, als auch die Volksfrontregierungen in Spanien und Frankreich gescheitert sind: „Die vielleicht grundlegendsten und schwierigsten Probleme der Volksfronten erwuchsen ihnen nicht im Lager ihrer erklärten Feinde, sondern unter jenen, die sie angeblich vertraten.“ [391]

Syndikalistische Arbeitsauffassungen

Seidman folgert daraus, dass eine Emanzipation der Arbeiter nur auf Grundlage einer hochgradig automatisierten Wirtschaft zu haben ist, in einer Gesellschaft, in der die Arbeit nur noch einen sehr geringen Teil der Lebenszeit der Menschen in Anspruch nimmt. Alle anderen Versuche müssen daran scheitern, da sie allesamt ohne Staat als Mittel zur Durchsetzung des Arbeitszwanges nicht auskommen können, was zwangsläufig mit der Errichtung einer neuen Klassenherrschaft einhergehe.[2] Im Jahr 1936 hatte die revolutionäre wie reformistische Linke jedoch andere Probleme, die eine solche Perspektive als Luxus erscheinen lassen mussten. Die führenden Vertreter der spanischen Republik – und mit ihnen die Anarchosyndikalisten – waren angesichts des Bürgerkrieges dazu gezwungen, maximale Produktionsleistungen aus den Fabriken herauszuholen. Sie konnten bei Strafe ihres Unterganges nicht anders handeln, auch wenn sie es so gewollt hätten. Raum für größere Experimente in Richtung Arbeitsplatzdemokratie blieb da nicht. Das zweifelt Seidman auch nicht an, allerdings legt er anhand zahlreicher Beispiele dar, dass die dazu notwendige Begleitmusik bereits von vornherein in den Ideologien sämtlicher Arbeiterorganisationen angelegt gewesen sei. Das ist sicher nicht ganz von der Hand zu weisen, dennoch gab es gerade im internationalen und spanischen Anarchosyndikalismus ein durchaus gespaltenes Verhältnis zur kapitalistischen Produktion. Einig war man sich, dass die Arbeiter bereits im Kapitalismus sich vorbereiten müssten, um später einmal die Produktion auch in Eigenregie weiterführen zu können. Inwieweit dabei die Produktionsmaschinerie unangetastet bleiben solle, darüber gab es unterschiedliche Auffassungen. Anders als Sozialdemokraten oder Kommunisten sahen die meisten der Theoretiker des Anarchosyndikalismus im monopolisierten Kapitalismus mit seinen tayloristischen Produktionsmethoden keine Vorstufe auf dem Weg zum Sozialismus. Im Gegenteil, es gibt zahlreiche Belege in der einschlägigen Literatur für ein deutlich kritisches Verhältnis zur „modernen“ Industrie im Allgemeinen und zur kapitalistischen Rationalisierung im Besonderen. So verwies der deutsche Sozialhistoriker Werner Sombart bereits in der Entstehungszeit des Syndikalismus zum Anfang des 20. Jahrhunderts darauf hin, dass die syndikalistischen Theoretiker „in die Schäden unserer Kultur zweifellos tiefer hineinleuchten als irgendeine andere sozialistische Doktrin. Wo insbesondere die Altmarxisten Lösungen oder – gar nichts sehen, sieht der Syndikalismus erst Probleme: So wenn er […] die Kulturwidrigkeit und Menschenunwürdigkeit unseres auf Differenzierung und Integrierung der einzelnen Arbeitsleistungen aufgebauten Systems der Arbeit hervorhebt.“ Er belegt das mit etlichen Zitaten zeitgenössischer Syndikalisten, die schon vor der Taylorisierung auf die schädlichen Wirkungen des Fabriksystems mit seiner „geisttötenden Arbeitsteilung“ hinwiesen und dieses „durch die wieder durchgeistigte Vollarbeit des individuellen Produzenten“ ersetzen wollten. (Sombart 1908, S. 129) Sie bezogen sich dabei nicht zuletzt auf Kropotkin, der in der zunehmenden Arbeitsteilung ein Hindernis für die Entfaltung der Produktivität des Menschen und in der „Vielseitigkeit […] die beste Gewähr für eine hohe Entwicklung der Produktion“ sah (Kropotkin 1999, S. 153), genauso, wie ihm die „stete Verfeinerung der Maschine und der technischen Hilfsmittel“ das beste Mittel zu „einer Dezentralisation der Industrien“ war, und nicht zu einer zunehmenden Konzentration in Großfabriken. (Rocker 1931, S. 6) Der deutsche Syndikalist Karl Roche betrachtete die Lohnarbeit als die Quelle der Arbeitsunlust der Arbeiter, was ihn die „Faulheit als politisches Kampfmittel“ propagieren ließ. Nur auf Basis der „Übergabe der Arbeitsmittel an die Arbeiter“ und der Beseitigung der „kapitalistischen Fundamente der Produktion“ lasse sich Sozialismus errichten, in dem „der Selbstzweck des Lebens“ in der „Lebensfreude“ bestehen und „Arbeit und Leben werden ineinander aufgehen“ werde. (Roche 1919a) Das Leben werde schließlich in erfüllter Arbeit, „abgelöst vom sinnenumrauschten Müßiggang“ bestehen. (Roche 1919b) Auch der international wohl renommierteste anarchosyndikalistische Theoretiker seiner Zeit, Rudolf Rocker, vertrat ähnliche Auffassungen. Er machte den Taylorismus für die „vollständige Degeneration der produzierenden Klassen“ verantwortlich. (Rocker 1980, S. 48) Für ihn stand nicht die Arbeitszeitverkürzung im Mittelpunkt der Umgestaltung einer sozialistischen Ökonomie, sondern die Umgestaltung der Arbeit dahingehend, „dass der Mensch wieder Freude an seinem Werk empfindet und seine Arbeit nicht bloß als gesellschaftliche Notwendigkeit, sondern in erster Linie wieder als einen Ausfluss schöpferischer Betätigung auffassen lernt.“ (Rocker 1980, S. 46)

Fragwürdig wird Seidmans Darstellung auch, wenn er Anarchosyndikalisten, Kommunisten, Sozialisten und Nationalkatalonier umstandslos in einen Topf wirft und ihnen pauschal einen „Arbeitsplatzutopismus“ vorwirft. Gerade im Falle der CNT ist das – wenn überhaupt – nur ein Teil der Wahrheit. So heißt es in ihrem unmittelbar vor der Revolution verabschiedeten „Konzept des libertären Kommunismus“ über dessen Grundpfeiler: „Die politische Losung unserer Revolution muss folgende drei Begriffe umfassen: Individuum, Kommune und Föderation.“; der „Arbeitsplatz“ bzw. das Syndikat als Teil der Utopie sollte ebenso wie die Kommune in letzter Instanz auf dem Individuum, dem „Ausgangspunkt und Eckstein aller sozialen, wirtschaftlichen und moralischen Schöpfungen“ basieren (Confederación Nacional del Trabajo: Ein Modell für Spanien 1972, S. 383‑384). „Gemeinschaften, die der Einbeziehung in den Industrialisierungsprozess Widerstand leisten und andere Arten des Zusammenlebens beschließen“ wurde ausdrücklich das „Recht auf eine autonome Verwaltung“ eingeräumt. Insofern geht der Vorwurf eines „Arbeitsplatzutopismus“ fehl, auch wenn man über die Realitätstauglichkeit solcher utopischer Vorstellungen durchaus geteilter Meinung sein kann. Das gleiche gilt natürlich auch für Seidmans Alternative einer „kybernetischen Utopie“, einer weitgehend automatisierten Produktion, die er auch den arbeitsverneinenden Arbeitern unterstellt – ein Modell, das von den meisten Anarchosyndikalisten seinerzeit zugunsten eines Konzeptes „anziehender Arbeit“ abgelehnt wurde. Gerade darin dürfte die Chance liegen, eine „Arbeiterdemokratie am Arbeitsplatz“ aufzubauen – eine Option, die der Autor so gar nicht erst erwogen hat. (Seidman 2011, S. 12)

Soziale Revolution ohne Arbeiter?

Soweit ein paar Beispiele syndikalistischer Auffassungen von Arbeit und „Arbeitsplatzutopismus“. Diese ließen sich mühelos zahlreich ergänzen. Aber das ist natürlich alles „graue Theorie“, die Frage ist, warum diese nicht mit der Praxis der spanischen Anarchosyndikalisten in Einklang zu bringen war. Neben dem bereits oben erwähnten – allerdings entscheidenden – Umstand der Bürgerkriegssituation dürfte im Falle Spanien auch noch eine Rolle gespielt haben, dass hier die Arbeiter sich erst in den Anfängen der Industrialisierung befanden – eine Situation, die einerseits die starke Abneigung der sich meist erst in erster Generation in den Fabriken befindlichen Arbeiter nicht und wesentlich beeinflusst haben dürfte.[3] Auf der anderen Seite sahen viele Funktionäre der in- und ausländischen Arbeiterbewegung in der spanischen Rückständigkeit eine entscheidende Ursache für den geringen Lebensstandard in Spanien und wollten diesen durch eine forcierte Industrialisierung verbessern helfen. Insofern ist müßig, für das Scheitern der spanischen Revolution die fehlende Arbeitsbereitschaft der Arbeiter verantwortlich zu machen.

Nichtsdestotrotz bleibt es ein Verdienst des Buches, den Blick für den hartnäckigen Widerstand der Arbeiter gegen die Arbeit freigelegt zu haben, ein Umstand, der in den bisherigen Darstellungen der spanischen Revolution nicht oder nur am Rande vorkam. Es bleibt die zentrale Frage, warum die Masse der Arbeiter – so wie bei Seidman dargestellt und mit zahlreichen Beispielen belegt – nur wenig Enthusiasmus zeigten, wenn es um die Verteidigung der Revolution ging – sei es in der Fabrik oder an der Front. So wichtig – und auch von anarchistischer Seite gefördert – ihr Widerstand gegen die Lohnarbeit, den man auch als einen Widerstand gegen ihre Arbeiterexistenz betrachten kann – gewesen ist, so viel Fragen wirft ihre Gleichgültigkeit gegenüber der Revolution auf. Sicher mag eine gesunde Portion Skepsis gegenüber den neuen (Arbeiter-)Eliten dabei eine Rolle gespielt haben, aber der Umstand, dass diese nicht erst Folge einer verständlichen Ermüdung nach einer längeren Periode von Anstrengungen gewesen ist, sondern laut Seidman von Anfang an so vorgeherrscht haben soll, lässt generelle Zweifel am Willen der Klasse aufkommen, eine grundlegend neue Gesellschaft aufbauen zu wollen. Sicher, der Charakter der Arbeit hat sich im unmittelbaren Gefolge der Revolution kaum geändert, aber das dürfte realistischerweise auch kaum jemand erwartet haben. Letztlich haben die Arbeiter – so Seidmans These – die Arbeiterorganisationen zur Stärkung des Staates, verstanden als Organ zur Durchsetzung des Arbeitszwanges, geradezu gezwungen.[4] Karl Heinz Roth und Marcel van der Linden, die das Vorwort zur deutschen Ausgabe beisteuerten, kommen daher zu dem Schluss, dass „jede erfolgreiche Arbeiterrevolution sofort und unvermeidlich zu einer Entschleunigung des wirtschaftlichen Wachstums“ führe. Deshalb habe eine kommunistische Ökonomie, die eben nicht auf „Arbeitsproduktivität als Grundnorm der politischen Ökonomie“ basieren kann, nur „nur dann eine Chance, wenn sie global in Gang kommt und weltweit koordiniert ist.“ Andernfalls sei man gezwungen, sich den „arbeiterfeindlichen Produktivitätsnormen“ der umgebenden kapitalistischen Welt anpassen zu müssen, was die Abschaffung des Staates unmöglich mache. [13–14] Wo das endet, hat man am Beispiel der „zweiten Welt“ sehr gut beobachten können. Insofern bleibt uns nur, den Ausweg in einer Utopie, auch einer „Arbeitsplatzutopie“, zu suchen, in der die Arbeit ihres entfremdeten Charakters entkleidet ist und diese einer schöpferischen Tätigkeit gewichen ist, in der die anstrengendsten und schädlichsten Elemente automatisiert und viele andere Sachen durchaus auch wieder in „unproduktivem“ Handwerk entstehen werden – etwa weil die Menschen sich darin verwirklichen können. Dass die spanischen Anarchosyndikalisten im Angesicht des Bürgerkrieges kaum die Chance hatten, solcherart Vorstellungen in die Realität umzusetzen, kann man ihnen nicht zum Vorwurf machen. Jedoch hat Seidman auch den Blick auf eine Strömung innerhalb der libertären Bewegung geschärft, in der eine unkritische Einstellung zur kapitalistischen „Moderne“ vorherrschte und die durchaus anschlussfähig an den Parteikommunismus sowjetischer Provenienz war.


Seidman, Michael: Gegen die Arbeit. Über die Arbeiterkämpfe in Barcelona und Paris 1936-1938. Heidelberg 2011. 477 Seiten, 24,90 Euro. Die Zahlen in eckigen Klammern beziehen sich auf die Seitenzahlen im Buch.

Literaturverzeichnis

Confederación Nacional del Trabajo: Ein Modell für Spanien (1972). In: Erwin Oberländer (Hg.): Der Anarchismus. Olten und Freiburg/Br.: Walter Verlag (Dokumente der Weltrevolution, 4), S. 377–395.

Kropotkin, Peter (1999): Die Eroberung des Brotes. Grafenau: Trotzdem

Roche, Karl (1919a): Arbeit und Faulheit. In: Der Syndikalist Nr. 9

Roche, Karl (1919b): Faulheit als politisches Kampfmittel. In: Der Syndikalist Nr. 30

Rocker, Rudolf (1931): Peter Kropotkin und das Problem der Arbeit. Unveröffentlichtes Manuskript.

Rocker, Rudolf (1980): Die Rationalisierung der Wirtschaft und die Arbeiterklasse. Frankfurt/Main: Verl. Freie Gesellschaft.

Seidman, Michael (2011): Gegen die Arbeit. [Redemanuskript zur Buchvorstellung 2011]. In: GWR (363), S. 10–12.

Sombart, Werner (1908): Sozialismus und soziale Bewegung. 6. Aufl. Jena: Verlag von Gustav Fischer.

Fußnoten

[1] Dr. Michael Seidman ist Historiker an der University of North Carolina in Wilmington, USA. Er lebte Ende der Siebzigerjahre in Paris und promovierte 1982 in Amsterdam über das Thema dieses Buches.

[2] Wie der Übergang zu einer libertären Gesellschaft stattdessen zu bewerkstelligen wäre, darüber schweigt der Autor. Allenfalls in den Revolten von 1968 sieht er einen Lichtblick, in deren Gefolge – vor allem in Frankreich – die Arbeiterklasse als Trägerin des Widerstandes gegen die Arbeit entdeckt wurde

[3] In nahezu allen sich neu industrialisierenden Ländern hat es einen heftigen und zumeist gewaltsamen Widerstand gegen die Fabrikarbeit gegeben. Vgl. hierzu exemplarisch: Kößler, Reinhart: Arbeitskultur im Industrialisierungsprozess. Münster 1990

[4] Umgekehrt zieht er dann den Schluss, dass der „Staat erst abgeschafft werden kann, wenn Lafargues kybernetisches Utopia verwirklicht sein wird“ (Seidman 2011b, S. 458–459), d. h. im Marxschen Sinne der Stand der Produktivkräfte ein weitgehend arbeitsbefreites Leben ohne Mangel ermöglicht. Nur dürfte damit wieder das Problem im Raum stehen, dass dieser Zustand wohl nie erreicht werden wird – jedenfalls wird es immer gute Gründe geben, warum die Zeit für die Revolution noch nicht reif genug sei – was die Kommunisten seiner Zeit in Spanien ja gegen die Anarchisten ins Feld führten.