Erklärung der Konferenz der Berliner Genossen zur Frage der preußischen Landtagswahlen
"Der Sozialdemokrat" Nr. 28, 9. Juli 1885
Nach reiflicher Überlegung und vorgängig gründlicher Durchberatung erklärt die durch Delegierte sämtlicher Wahlkreise gebildete Konferenz der Berliner Genossen im Namen der Letzteren folgendes:
In Erwägung, dass unser Programm uns verpflichtet, das allgemeine, gleiche und direkte Wahlreicht mit geheimer Stimmabgabe zu erstreben, dass das preußische Dreiklassen-Wahlgesetz aber in keiner Beziehung diesen Forderungen auch nur im mindesten entspricht, und auch nicht die entfernteste Aussicht vorhanden ist, innerhalb dieser Körperschaft selbst, durch geeignete Vertreter, eine Verbesserung dieses reaktionärsten aller Wahlsysteme herbeizuführen;
in weiterer Erwägung,
dass bei diesem verwerfliche System obendrein durch eine besondere Wahlkreis-Geometrie unsere Hochburgen, der vierte und sechste Reichstagswahlkreis, zerstückelt werden, und wir daher, ohne einen prinzipienwidrigen und schmachvollen Kompromiss mit rechts stehenden Parteien einzugehen, einen nennenswerten Erfolg nicht erzielen dürften;
in fernerer Erwägung,
dass wir in diesem Wahlsystem, indem wir unter demselben wählen, eine unserer unwürdige Anerkennung zollen und der Regierung eine Handhabe zur Beschneidung des allgemeinen gleichen und direkten Wahlrechts geben würden, da sie mit Recht sagen könnte: Seht, die Sozialdemokraten erkennen dieses, selbst schon vom Reichskanzler ad absurdum geführte System durch ihre Beteiligung für richtig an, und dass wir dann wieder einen Schritt weiter in den Sumpf des Parlamentarismus getan hätten, um füglich bei den Genossen das bisschen Sympathie, welches sie noch für die Beteiligung an den parlamentarischen Kämpfen haben, vollends zu ersticken;
in schließlicher Erwägung,
dass angesichts der Tatsache, dass jedes Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses 15 Mark Diäten pro Tag erhält, wir uns des Gedankens nicht erwehren können, dass wir uns eventuell eine Pflanzstätte der Prinzipienverleugnung und eine Züchtungsanstalt für Berufsparlamentarier schaffen könnten – (unser Prinzip ist uns heilig und unsere Vertreter Ehrenmänner, aber – der Mensch ist ein Produkt der Verhältnisse, und nachher dürfte es zu spät sein!), dass wir vielmehr einen Stolz darin setzen, unsere Vertreter unabhängig vom Säckel der Steuerzahler und von der Hand der Regierung zu wissen –
in Erwägung alles dessen, und um unsere Kraft und Geld für besser Gelegenheit aufzusparen, erklären sich die Berliner Genossen hiermit ganz entschieden gegen eine Beteiligung an der preußischen Landtagswahl!
Berlin, den 28. Juni 1885
Die Berliner Genossen