Zur bayerischen Landtagswahl

"Der Sozialdemokrat" Nr. 44, 28. Oktober 1886

Die demokratische "Hamburger Bürgerzeitung" bringt in einer Münchener Korrespondenz eine Nachricht, die wir unseren Lesern nicht vorenthalten dürfen. Sie schreibt, dass anlässlich der bevorstehenden bayerischen Landtagswahlen auch unsere Genossen in Aktion treten, was sicher von allen Seiten nur gebilligt wird. Das Blatt bemerkt aber weiter:

Die Liberalen werden hier vereinigt in die Wahlschlacht ziehen, und wird behauptet, man sei in diesen Kreisen bereit, den Sozialdemokraten einen Kompromiss anzubieten, wenn letztere so viel Wahlmänner durchbringen, dass mit ihrer Hilfe die Liberalen den Sieg einheimsen können.

Zu einem Kompromiss gehören bekanntlich zwei, und wir haben zu unseren Münchener Genossen das feste Vertrauen, dass sie sich niemals zu einem so schmachvollen Kompromiss, wie es ihnen unterstellt wird, hergeben werden. Ein solcher Kompromiss widerspricht allen Traditionen der Partei, die bisher ihre Stärke und ihre Ehre darin gesucht hat, im Gegensatz zu allen Parteien als prinzipien- und klassenbewusste Partei in den Wahlkampf zu treten.

Es ist bisher die erste Forderung aller Parteikongresse gewesen, dass die Parteigenossen selbständig in den Wahlkampf eintreten sollen und dass sie sich nicht zu Verbindungen hergeben dürfen, bei der unsere Partei als Anhängsel oder Kampfgenosse irgend einer anderen Partei erscheint.

Im vorliegenden Falle handelt es sich obendrein in München um eine Partei, die bisher sich als die ärgste Feindin unserer Partei, als die eigentliche Geburtshelferin des Sozialistengesetzes gezeigt hat, um die nationalliberale Partei, denn der Münchener Liberalismus ist, abgesehen von ganz unerheblichen Bruchteilen, ausgesprochener gemeiner Nationalliberalismus. Einer solchen Partei bei den Landtagswahlen zum Siege verhelfen zu wollen, wäre Parteiverrat, wäre selbst dann Parteiverrat, wenn das nationalliberale Gesindel unseren Genossen als Gnadenbrocken ebenfalls ein Mandat anzubieten die Frechheit haben sollte.

Bisher haben unsere Genossen, wo immer sie sich an den Landtagswahlen beteiligten, in Sachsen, in Hessen, in Württemberg, in den thüringischen Staaten, getreu dem Parteiprogramm und der traditionellen Parteitaktik sich als selbständige Partei, die gegenüber allen anderen Parteien selbständig in den Wahlkampf eintrat, gezeigt.

Die Partei darf erwarten, dass die Münchener Genossen, wie schmeichlerisch auch der Versucher an sie herantreten möge, ebenso handeln und den Gegner, dessen Vertreter im Reichstag uns den Stick des Sozialistengesetzes um den Hals gedreht haben und dessen Vertreter im bayerischen Landtag bisher zu allen Polizeiniederträchtigkeiten, die in Bayern gegen unsere Genossen verübt wurden, schiegen oder gar Beifall klatschten, mit Verachtung abweisen.

Können die Parteigenossen in Bayern ein oder mehrere Mandate für sich erobern, so sollen sie alle Kräfte einsetzen, und die ganze Partei wird sich freuen, wenn ihnen dies gelingt. Aber nie und nimmer dar ein solcher Sieg durch die Gnade der Gegner erfochten werden, ein solcher Sieg muss notwendig lähmend auf die Tätigkeit eines so gewählten Vertreters wirken, der in gewissen Momenten stets sich vorhalten wird, wem er den Sieg verdankte, und er wirkt korrumpierend auf die Parteigenossen, die schließlich alles Gefühl verlieren für die Grenze, die sie sich ziehen müssen.

Heute ein Kompromiss mit den Liberalen, morgen einer mit den Konservativen oder den Ultramontanen, ganz wie es der Vorteil der Mandatsjäger erheischt, das würde die logische Konsequenz solcher erbärmlichen Taktik sein.

Wir hoffen, dass unsere Münchener Parteigenossen sich vor dem Betreten der schiefen Ebene hüten werden, eingedenk des sich hundertfach bewährt habenden Satzes unseres Parteiprogramms:

"Gegenüber der Sozialdemokratie sind alle Parteien eine reaktionäre Masse."

Parteigenossen, seid auf der Hut!