Zum Streit um die Beteiligung an den Berliner Stadtverordnetenwahlen

"Der Sozialdemokrat" Nr. 47, 18. November 1887

Unter unseren Berliner Genossen ist in Bezug auf die Beteiligung an den demnächst stattfindenden Stadtverordnetenwahlen Meinungsverschiedenheit ausgebrochen. Ein Teil derselben hält es, angesichts der Tatsache, dass ihnen jede öffentliche Versammlung zum Zwecke der Besprechung der Stadtverordnetenwahl unmöglich gemacht ward, für eine Bemäntelung der Ungerechtigkeit des heutigen Systems, wenn sich die Arbeiter trotzdem an der Wahl beteiligten, zumal sie nach dem gegenwärtigen Wahlsystem doch nur eine verschwindende Minorität in die Stadtvertretung hineinbringen können, und außerdem die Tätigkeit der Partei auf kommunalem Gebiete doch immer nur eine sehr geringfügige sein könne. Deshalb sei es geboten, durch vollständige Wahlenthaltung "den schneidendsten Protest zu erheben gegen ein System, das uns zu vollständiger politischer Rechtlosigkeit verurteilt." Dieser "lautlose Protest" werde mächtiger in das Land hinaus schallen und einen ganz anderen Widerhall finden, als alle sonstigen Proteste zusammen.

Gegen diese Anschauung wird von anderer Seite eingewandt, dass gerade auf die Gemeindeverwaltung Einfluss zu gewinnen ein wichtiges Bestreben der Arbeiter sein muss. Es darf nie vergessen werden, dass die Gemeinde sich als ein großer Arbeitgeber darstellt, dass, wenn irgendwo "bedeutsame Beziehungen" zwischen "Kapital und Arbeit" zu finden sind, dies gerade in der Gemeinde der Fall ist." "Gewerbliche Schiedsgerichte", Krankenkassen, "Einrichtungen", "Vertretung bei der Berufsgenossenschaft land- und forstwirtschaftlicher Arbeiter" und vor allem die städtischen Steuern … "das alles sind doch Institutionen, die sich unabweisbar als Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit darstellen." Ganz analog den Reichstagswahlen dürfen natürlich "die Gemeindewahlen nur Mittel zum Zweck sein". "Je mehr durch die Verbote der Versammlungen es uns erschwert wird, in die Agitation einzutreten," desto leichter die Erkenntnis, dass "die Wahlenthaltung kein schneidender Protest, sondern ein erwünschter und ersehnter Erfolg unserer Gegner ist."

Wir stehen den Berliner Verhältnissen nicht nahe genug, um uns ein Urteil darüber herausnehmen zu wollen, inwieweit die beiderseitigen Voraussetzungen in Bezug auf eine ersprießliche Wahlaktion unter dem gegenwärtigen Zustand zutreffen. Diese aber sind für uns das Entscheidende im vorliegenden Falle.

Dies nur im Allgemeinen; wir behalten uns vor, in den nächsten Nummern die hier in Betracht kommenden Fragen im Speziellen zu erörtern.